Jahrelang hat sich die drittgrößte sächsische Stadt, die oft im Schatten von Dresden und Leipzig steht, darauf vorbereitet. Am Abend des 18. Januar spricht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dann den entscheidenden Satz: „Ich erkläre Chemnitz Kulturhauptstadt Europas 2025 für eröffnet.“ Zehntausende feiern den Start des Events.
„Von Chemnitz kann in diesem Jahr das Signal eines neuen Miteinanders ausgehen“, sagt Steinmeier, „das Signal: Zukunft machen wir gemeinsam.“ Das Kulturhauptstadtjahr bringe Menschen zusammen, die sonst wenig Berührung miteinander hätten: „Genau das brauchen wir in dieser Zeit so dringend.“
Höhepunkt der Eröffnungsfeierlichkeiten ist eine abendliche Open-Air-Show am 40 Tonnen schweren Karl-Marx-Monument, dem Wahrzeichen der Stadt. Licht- und Videoinstallationen geben dem „Nischl“ (umgangssprachlich für Kopf), wie das Denkmal für den Philosophen seit jeher genannt wird, ein besonderes Flair. Künstlerinnen und Künstler gestalten die Show, darunter Paula Carolina und Bosse sowie Tänzerinnen und Tänzer der Stadt.
Roth: Kunst und Kultur verbinden
Schon über den Tag verteilt gibt es zahlreiche Programmangebote. Auf Open-Air-Bühnen in der Innenstadt wird mit Musik und Tanz mal laut, mal leise gefeiert. Bei blauem Himmel füllt sich das Zentrum schnell mit Tausenden Menschen. Die Veranstalter sprechen später von rund 80.000 Einheimischen und Gästen, darunter etwa 250 Journalistinnen und Journalisten aus 13 Ländern.
Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) ist am Eröffnungstag in der Stadt. Sie betont, dass Kunst und Kultur gerade in schwierigen Zeiten verbinden, mobilisieren und Identität schaffen. „Wenn Kultur der Herzschlag unserer Demokratie ist, dann schlägt das europäische Herz heute und in diesem Jahr in Chemnitz“, sagt sie.
Chemnitz 2025 stehe für gemeinsame europäische Werte, für Demokratie, Respekt und Dialog. „Alle, die das infrage stellen, werden sehen, dass sie eine kleine Minderheit sind“, sagt Roth auch mit Blick auf die Demonstration der rechtsextremen „Freien Sachsen“, die an diesem Tag eine Runde durch Chemnitz zieht, laut Polizei mit etwa 400 Teilnehmenden.
Auf dem Neumarkt zelebrieren Schauspieler Alexander Scheer und Regisseur Andreas Dresen Songs von Gerhard Gundermann (1955-1998) und sorgen für gute Stimmung. „Immer wieder wächst das Gras, wild und hoch und grün, bis die Sensen ohne Hass ihre Kreise ziehn“, singen sie und begeistern das Publikum. Dresen hatte 2018 einen Film über den Baggerfahrer und DDR-Liedermacher Gundermann vorgelegt, Scheer spielt darin die Hauptrolle.
„C the Unseen“
Chemnitz, das zu DDR-Zeiten Karl-Marx-Stadt hieß, trägt den Kulturhauptstadt-Titel zusammen mit 38 Kommunen aus der Region, vom Erzgebirge bis nach Zwickau. Unter dem Motto „C the Unseen“ sollen weniger bekannte und gesehene Seiten der ostdeutschen Stadt gezeigt werden. Viel Wert wird auf die Beteiligung von Einheimischen gelegt.
2018 war die Stadt nach rechtsextremen Ausschreitungen in die Schlagzeilen geraten, kämpft seitdem mit einem Imageschaden. 2025 sollen nun andere Bilder entstehen.
Oberbürgermeister Sven Schulze (SPD) sagt: „Chemnitz war lange eine Stadt im Schatten, ein Ort, den viele nicht kannten, absichtlich ignorierten oder bewusst mieden.“ Es sei eine „Stadt mit unübersehbaren Brüchen und Narben, aber ebenso eine, die sich immer wieder neu gefunden und erfunden und aus sich selbst heraus weiterentwickelt hat“.
Schulze lädt zur Entdeckungsreise ein, hofft auf zahlreiche Gäste mit offenem Herzen und ohne Vorurteile. Es gelte, das „Ungesehene zu erleben, das unsere Stadt so spannend macht“, sagt er. Und auch Steinmeier findet: „Wer Chemnitz bisher nicht gesehen hat, wer es nicht kannte, der hat bereits viel verpasst, aber 2025 sollten wirklich alle hinschauen.“