"Zurück ins 19. Jahrhundert": Argentinien und der Umweltschutz
s:32:"Javier Milei im Wahlkampf (2023)";
Javier Milei im Wahlkampf (2023)
Buenos Aires (epd).

Wie mit der Kettensäge geht Javier Milei gegen Bürokratie und Behörden vor. Entsprechend präsentiert er sich mit dem Werkzeug auf Fotos und in den sozialen Medien. Seinen Spar- und Privatisierungskurs begleitet der argentinische Präsident, der Donald Trump und Elon Musk bewundert, mit aggressiver Rhetorik. Auch für staatlichen Umweltschutz hat der ultraliberale Leugner eines menschengemachten Klimawandels nichts übrig - für ihn ist er Teil einer „sozialistischen Agenda“.

Folgerichtig reiste die argentinische Delegation vorzeitig vom UN-Klimagipfel in Baku im November ab, und in New York stimmte das südamerikanische Land als einziges gegen eine UN-Resolution für die Rechte indigener Völker. Aus dem Umweltministerium ist ein „Unterstaatssekretariat“ im Innenressort geworden, für 2025 wurden der Mini-Abteilung ganze 0,07 Prozent der Haushaltsmittel zugewiesen. Auch für Waldschutz gibt es kaum noch Geld - und das in einem Land, in dem große Waldbrände an der Tagesordnung sind.

Geld für Umwelt- und Klimaforschung soll gestrichen werden

Die Mittel für Forschungsprojekte zu Umweltfragen und Klimawandel sollen ganz gestrichen werden, kündigte die Regierung jetzt an. Die Bereiche Wissenschaft und Technologie wurden um ein Drittel gekürzt.

„Ein Dolchstoß“ sei das, findet Umweltanwalt Enrique Viale. Angesichts des Klimakollapses brauche man „mehr Wissenschaft, mehr Staat“. Eine ernsthafte Umweltpolitik habe es zwar auch unter Mileis Vorgängern nicht gegeben, erklärt der Experte, „doch jetzt haben wir es mit einem Klimaleugner zu tun, der die sozialökologischen Bewegungen angreift“.

Der Präsident hingegen sieht sich auf dem richtigen Kurs. Bisher hätten Politiker auf „lärmende Minderheiten und Umweltorganisationen gehört, die von ausländischen Millionären finanziert werden“, erklärte Milei in einer Grundsatzrede. Das größte Umweltproblem sei die extreme Armut, behauptete er, und das sei nur durch verstärkte Rohstoffexporte zu lösen.

„Die Menschen haben Angst“

Um große Investoren anzulocken, bietet ihnen die Regierung niedrige Steuern und günstige Zollbedingungen. So soll in der Andenprovinz Mendoza bald Kupfer gefördert werden - das Projekt San Jorge steht nach jahrelangem erbitterten Widerstand der Bevölkerung, die um die spärlichen Wasserreserven bangt, vor der Genehmigung durch die Provinzregierung.

„Es gibt noch immer keine Zustimmung, sondern nur Stille“, sagt die Umweltaktivistin María Teresa Cañas bitter, „die Menschen haben Angst zu protestieren“. Wegen Wirtschaftskrise und grassierender Armut sind Umweltthemen fast völlig aus der öffentlichen Debatte verschwunden.

Die Produktion fossiler Brennstoffe hingegen erreichte 2024 das höchste Niveau seit 21 Jahren. Das meiste geförderte Öl und Gas stammt aus Vaca Muerta (übersetzt „Tote Kuh“), einer Schieferformation von der Größe Belgiens. Das Fracking-Verfahren bedroht das ökologische Gleichgewicht in Nordpatagonien. Die dort lebenden Mapuche-Gemeinschaften leiden unter Wassermangel, Erdstöße erschüttern ihre Häuser. „Solche extraktivistischen Projekte befeuern die sozialen Konflikte vor Ort und bringen Umweltschützer in Gefahr“, weiß Anwalt Viale. In Vaca Muerta verstärkte die Regierung demonstrativ die Polizeipräsenz.

Kampf gegen Pipeline zur Atlantikküste

In einigen Jahren soll von dort Flüssiggas nach Europa exportiert werden. Eine 600 Kilometer lange Pipeline bis zur Atlantikküste ist schon in Bau, und am San-Matías-Golf, einer Brutstätte für Wale, ist ein Terminal geplant. Gegen die drohende Verschmutzung des Ökotops wehrt sich seit Jahren eine Bürgerinitiative - wohl vergeblich.

„Dieser umfassenden Offensive haben wir kaum Erfolge entgegenzusetzen“, sagt Enrique Viale. Zwar konnte der Angriff auf das Gletscherschutzgesetz, das Milei aushebeln wollte, bislang abgewehrt werden, doch die Bergbaulobby lässt nicht locker. Provinzpolitiker jeder Couleur machen sich für neue Megaprojekte stark oder auch, wie derzeit im nordwestlich gelegenen Salta, für die Abholzung riesiger Landstriche.

In ganz Nordargentinien schreitet die Abholzung ungebremst voran: Bäume und Büsche werden mit Panierraupen beiseite geräumt, um Rindern und Sojafeldern Platz zu machen. Viales Fazit lautet: „Umweltpolitisch hat uns Milei ins 19. Jahrhundert zurückgeführt“.

Von Gerhard Dilger (epd)