Terror mit Wurzeln in Afghanistan
Warum der regionale IS-Ableger ISPK Ziele im Ausland ins Visier nimmt
Beirut, Kabul (epd).

Für viele Afghaninnen und Afghanen ist es eine der größten Errungenschaften der jüngeren Vergangenheit: Seit die Taliban in Afghanistan im Sommer 2021 an die Macht zurückgekehrt sind und der jahrzehntelange Krieg zu Ende ist, ist das Land so friedlich wie lange nicht mehr. Laut „Global Terrorism Index“ war das vorige Jahr mit weniger als 500 Toten sogar das friedlichste seit Beginn der Erfassung im Jahr 2000. Doch zugleich steigt laut internationalen Sicherheitsexperten im Ausland die Terrorgefahr, die von afghanischem Boden ausgeht - auch Deutschland wird zum Ziel des regionalen IS-Ablegers „Islamischer Staat Provinz Khorasan“ (ISPK).

Die islamistische Gruppe hat in jüngster Zeit mehrere Anschläge im Ausland verübt, bei denen Hunderte Menschen ums Leben kamen. Anfang des Jahres wurden Dutzende Menschen bei einem Anschlag auf eine Gedenkfeier in der iranischen Stadt Kerman getötet. Im März verübten Kämpfer des ISPK ein Attentat auf eine Konzerthalle in Russlands Hauptstadt Moskau.

Rivalität mit Taliban

Auch in Deutschland und anderen europäischen Staaten wurden in jüngster Zeit immer wieder Verdächtige mit mutmaßlichen Verbindungen zu der Terrorgruppe aus Afghanistan festgenommen, darunter eine Gruppe von sieben Männern aus Zentralasien in Nordrhein-Westfalen. Deutschland stehe mehr denn je im Visier dschihadistischer Organisationen, warnt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).

Der IS-Ableger hatte sich nach seiner Gründung 2015 zunächst zum Ziel gesetzt, in der historischen Region Khorasan, die Teile Afghanistans, Zentralasiens und des Iran umfasst, ein islamisches Kalifat zu errichten. Dass die Gruppe nun vermehrt Ziele im Ausland ins Visier nimmt, dürfte vor allem mit der Machtübernahme der Taliban vor rund drei Jahren zusammenhängen. Die beiden Gruppen stehen in enger Rivalität zueinander: Der ISPK wirft den Taliban vor, nicht radikal genug zu sein, religiöse schiitische Minderheiten zu tolerieren und mit ausländischen Mächten wie dem pakistanischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten.

Der ISPK hat seit der Rückkehr der Taliban Dutzende Anschläge in Afghanistan verübt. Die Taliban wiederum nutzen den Kampf gegen den IS-Ableger, der zeitweise Gebiete vor allem im Osten des Landes kontrolliert hatte, um sich als Sicherheitsgarant nach außen zu präsentieren. Mutmaßlich auch dank US-amerikanischer Geheimdienstinformationen setzen sie den ISPK zunehmend unter Druck.

„Rekrutierungserfolg auch auf Berichterstattung zurückzuführen“

Tatsächlich hat die Gruppe laut dem Sicherheitsexperten Lucas Webber zuletzt deutlich weniger Anschläge innerhalb Afghanistans verübt. Dies könne jedoch auch mit einem Strategiewechsel der Terrorgruppe zusammenhängen, sagt der Senior-Analyst bei der Nichtregierungsorganisation „Tech Against Terrorism“. Der IS-Ableger richte sich mittlerweile globaler aus und habe in den Ausbau seines Propagandaapparates investiert. „Sie haben verstanden, dass ihr Rekrutierungserfolg auch auf die weltweite Medienberichterstattung nach Anschlägen zurückzuführen ist.“

In Deutschland hat die Gruppierung zuletzt deutlich an Zulauf gewonnen. Dem ISPK ist es laut Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwag gelungen, sehr viele Anhänger und Mitstreiter hinter sich zu versammeln.

Ob Grenzkontrollen oder die derzeit in Deutschland diskutierten Abschiebungen von Straftätern nach Afghanistan oder Syrien die Terrorgefahr unterbinden, ist jedoch fraglich. Der ISPK spreche gezielt Menschen in seinen jeweiligen Zielländern über seine Onlinepropaganda an, sagt Analyst Webber - eine Taktik, die schon die Mutterorganisation „Islamischer Staat“ in ihrer Blütezeit immer wieder angewandt habe. Adressiert würden in erster Linie zentralasiatische Diasporagemeinden, in deren Heimatländern die Religionsausübung oft unterdrückt werde, wie etwa in Tadschikistan oder Usbekistan.

In Afghanistan hingegen dürfte sich die Lage in Zukunft weiter beruhigen. Einem UN-Bericht zufolge halten sich viele der Terroristen inzwischen in der Türkei, Pakistan und Zentralasien auf, um dem Druck der Taliban zu entgehen. Eine Hochburg wird Afghanistan aber aus ideologischen Gründen wohl dennoch bleiben.

Von Julian Busch (epd)