Mexiko: Kaum eine Spur von den verschwundenen Studenten
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Mahnmal in Mexiko-Stadt
Vor zehn Jahren wurden in Mexiko 43 Lehramtsanwärter verschleppt
Berlin, Mexiko-Stadt (epd).

Es war ein großes Versprechen, mit dem Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador vor sechs Jahren sein Amt antrat. Die Aufklärung des Falls der 43 verschwundenen Studenten des Ayotzinapa-Lehrerseminars sei für ihn Chefsache, sagte er. Doch wenige Tage, bevor der gemäßigt linke Staatschef nun Ende des Monats die Regierung an seine Nachfolgerin Claudia Sheinbaum abgibt, ziehen Angehörige der vermissten jungen Männer ein trauriges Resümee. „Dieser Präsident war für uns eine totale Enttäuschung“, sagte Clemente Rodríguez, der Vater des verschleppten Studenten Christian, dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Seit zehn Jahren sucht Rodríguez nach seinem Sohn. Christian wurde in der Nacht auf den 27. September 2014 gemeinsam mit 42 weiteren Kommilitonen in der südmexikanischen Stadt Iguala von Polizisten festgenommen, an Kriminelle der Mafiagruppe Guerreros Unidos übergeben und von diesen verschleppt, wahrscheinlich mit Hilfe von Soldaten. Sechs weitere Menschen starben bei dem Angriff. Von den Studenten fehlt seither fast jede Spur. Zwar haben die Strafverfolger 119 mutmaßlich Beteiligte verhaftet, doch niemand wurde für die Tat verurteilt.

„López Obrador will sich nicht gegen Armee stellen“

Vieles spricht dafür, dass die Männer unfreiwillig einem Drogenschmuggel in die Quere gekommen sind. Sie wurden angegriffen, als sie sich in einem Bus befanden, mit dem möglicherweise Heroin in die USA gebracht werden sollte. Die Ermittler der Regierung des damaligen Präsidenten Enrique Peña Nieto setzten alles daran, das Verbrechen auf ein Problem korrupter lokaler Beamter und einer Mafiaorganisation zu reduzieren. Doch eine unabhängige internationale Expertengruppe deckte zahlreiche Ungereimtheiten in den Ermittlungen auf. Tatorte seien manipuliert und Gefangene gefoltert worden, um die staatliche Version vom Verlauf der Tat zu untermauern.

Das sollte sich mit der Amtsübernahme López Obradors im Jahr 2018 ändern. Der Staatschef schuf eine Wahrheitskommission, ernannte einen Sonderstaatsanwalt und traf sich mit den Angehörigen. Ermittlungen bestätigten, dass die Strafverfolger seines Vorgängers bemüht waren, die Hintergründe zu verschleiern und die Hintermänner zu schützen. Gegen den damaligen Generalstaatsanwalt und den obersten Polizeichef wurden Haftbefehle ausgestellt, weitere mutmaßliche Täter verhaftet. Dennoch wissen die Angehörigen bis heute nicht, was mit ihren Liebsten geschehen ist, nur ein paar wenige sterbliche Überreste wurden gefunden.

Für Rodríguez liegt das vor allem daran, dass sich López Obrador schützend hinter das Militär stellt. „Am Anfang lief alles gut, die Suche kam voran“, sagt er. Doch nachdem deutlich geworden sei, dass auch Soldaten in die Tat verwickelt waren, habe sich das Blatt gewendet. „Der Präsident will sich nicht gegen die Armee stellen“, sagt Rodríguez.

Hoffnung auf neue Präsidentin

Unter den verschleppten Studenten des politisch linksgerichteten Lehrerseminars befand sich mindestens ein Spitzel des Militärs. Zudem wusste die Armeeführung noch Tage nach dem Verschwinden, wo sich ein Teil der Männer befand, gab die Informationen aber nicht weiter. Angehörige und zivilgesellschaftliche Gruppen forderten deshalb, dass das Verteidigungsministerium Dokumente herausgibt, die zur Aufklärung beitragen könnten. Allerdings ohne Erfolg. Es gebe keine Beweise für eine Beteiligung des Militärs, betonte López Obrador.

Kritiker vermuten, dass die Armee mächtiger ist als der Präsident und diesen unter Druck setzt. Der Staatschef kontert mit scharfen Angriffen. „Angebliche Menschenrechtsverteidiger der sogenannten Zivilgesellschaft“ und „Zweigstellen der US-Regierung“ hätten eine „Diffamierungskampagne“ gegen ihn gestartet.

„Wir sehen keine Bedingungen für weitere Treffen, weil sie immer in Konfrontationen enden“, resümiert der Angehörigen-Anwalt Vidulfo Rosales die Zusammenarbeit mit López Obrador. Clemente Rodríguez hat dennoch Hoffnung, dass sich die Dinge mit der neuen Präsidentin zum Besseren wenden könnten. „Wir müssen Sheinbaum einen kleinen Vertrauensvorschuss geben“, sagt er. Wie jeden Monat seit jenem Herbsttag 2014 wird er mit den anderen Vätern und Müttern am 26. September in Mexiko-Stadt auf die Straße gehen, um an seinen verlorenen Sohn zu erinnern.

Von Wolf-Dieter Vogel (epd)