
Der Sozialforscher Stefan Sell erwartet nach der möglichen Bildung einer Koalition von Union und SPD die Rückabwicklung des Bürgergeldes. „Die SPD wird sich vermutlich an dieser Stelle nicht verkämpfen, denn ihr sind die rentenpolitischen Punkte wichtiger, die sie der Union abverhandeln muss“, sagte der Koblenzer Professor dem Evangelischen Pressedienst (epd). Vermutlich werde die im Sondierungspapier von Union und SPD angekündigte neue Grundsicherung „zu einem Hartz V im Sinne von noch härter daherkommenden Regelungen“.
Sell zufolge wird die SPD in der Arbeitsmarktpolitik Härten für Langzeitarbeitslose nicht unterbinden. Die Partei habe auch in der Vergangenheit nur halbherzig hinter dem Bürgergeld gestanden. „Meine Wahrnehmung ist, dass es zumindest für den Mainstream der SPD kein wirkliches Herzensanliegen war in dem Sinne, dass man wirklich substanzielle Veränderungen vornehmen wollte.“ Vielen in der SPD sei es vor allem „um eine semantische Entsorgung von Hartz IV gegangen, weil dieser Begriff der SPD negativ zugeschrieben wurde“.
Laut dem Sondierungspapier von Union und SPD soll an die Stelle des Bürgergeldes eine „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ treten. Der mit dem Bürgergeld abgeschaffte Vermittlungsvorrang soll „für Menschen, die arbeiten können“, wieder eingeführt werden - das bedeutet, dass die Aufnahme eines Jobs Vorrang hat vor Weiterbildung und Qualifizierung. Mitwirkungspflichten und Sanktionen" sollen bis hin zur kompletten Einstellung der Zahlungen verschärft werden.
„Die Union braucht hier einen symbolpolitischen Punkt und wird Korrekturen nicht mehr zulassen“, sagte Sell. Auch die „Neue Grundsicherung“, ein Begriff aus den Reihen der CDU, sei alter Wein in semantisch neuen Schläuchen. Man müsse sehen, dass die SPD schon in der Ampel Schritt für Schritt in Richtung auf die Forderungen aus der Union sowie damals noch der FDP eingeschwenkt ist und diese teilweise sogar überholt habe.
Weil das Einsparvolumen bei dieser Sozialleistung mehr als überschaubar sei, müsse man diesen verschärften Kurs vor allem politpsychologisch interpretieren. „Wir bewegen uns in dem engen Feld der Debatte über schärfere Sanktionen in einem haushalterisch verlorenen Krieg, denn es lassen sich hier keine nennenswerten Summen einsparen.“ Aber man bediene die hoch emotionalisierte Debatte, die sich auch daraus speise, „dass bei diesem Thema tiefsitzende Gerechtigkeitsvorstellungen der Mehrheitsgesellschaft verletzt werden und jeder Einzelfall möglichen Leistungsmissbrauchs wie ein Brandbeschleuniger wirkt“, sagte der Sozialforscher.