![s:45:"Vincent Böckstiegel, Selbstbildnis im Labor.";](/sites/default/files/schwerpunktartikel/S250207251L-1.jpg)
Der Fotograf Vincent Böckstiegel war von klein auf von Gemälden, Grafiken und Skulpturen umgeben. Wenn sein Vater, der expressionistische Maler Peter August Böckstiegel (1889-1951), seine Staffelei in den Feldern des Heimatdorfes Arrode bei Werther aufbaute, war auch Vincent nicht weit. Die Ferien verbrachte er mit seiner Familie oft im alten Bauernhaus seiner Großeltern in der westfälischen Provinz. Am Wohnort der Familie in Dresden, wo der Vater an der Königlichen Sächsischen Akademie der Bildenden Künste studierte hatte und und dort bis zur Zerstörung der Stadt 1945 ein Atelier unterhielt, erlebte er dagegen ein pulsierendes Milieu mit einem vielfältigen kulturellen Angebot.
Dieser Einfluss ist im Werk von Vincent Böckstiegel erkennbar, dessen Fotografien durchkomponiert sind wie Kunstwerke. Anlässlich seines 100. Geburtstages zeigt das Böckstiegel-Museum in Werther-Arrode die Retrospektive „Von Arrode in die Welt“. Zu sehen sind über 80 Bilder, die Böckstiegel unter anderem während Reportagereisen für die Wochenzeitung „Unsere Kirche“ (UK) im Nahen Osten, Afrika und Asien, aber auch in Werkstätten und Wohnbereichen der früheren v. Bodelschwinghen Anstalten Bethel, heute Stiftungen, aufnahm.
Am 12. Februar 1925 kam der Sohn von Peter August und Hanna Böckstiegel zur Welt. Sein Vater, der sich in der Weimarer Zeit unter den Expressionisten einen Namen als „westfälischer Bauernmaler“ gemacht hatte, benannte ihn nach seinem Vorbild, dem flämischen Maler Vincent van Gogh. Den junge Mann zog es jedoch nicht zur Malerei, sondern zur Fotografie. Noch in Dresden eignete er sich diese Kunst autodidaktisch an und war zudem an Filmproduktionen beteiligt. Nach dem Umzug der Familie Ende des Zweiten Weltkrieges nach Arrode richtete er sich dort eine Dunkelkammer ein.
In Westfalen arbeitete er auch für den Evangelischen Pressedienst (epd), dessen Chefredaktion von 1947 bis 1968 in Bielefeld-Bethel ihren Sitz hatte. Böckstiegels Fotos erschienen in Zeitungen, zudem in Büchern und Kalendern und erreichten so eine weite Verbreitung. Weitere Aufträge führten den Fotografen, der ab 1970 beim Evangelischen Presseverband für Westfalen und Lippe fest angestellt war, in die USA und nach Südostasien sowie in Länder hinter dem „Eisernen Vorhang“, nach Polen, in die Sowjetunion und die DDR.
Böckstiegels Fotos - fast ausschließlich in schwarz-weiß aufgenommen - sind jeweils eigene kleine Inszenierungen, bei denen Beleuchtung, Linienführung und Fokus genauestens überlegt und aufeinander abgestimmt sind. Vor allem seine Porträts beeindrucken durch ihre Nähe zu den fotografierten Personen. In der Ausstellung bis 18. Mai sind unterschiedlichste Menschen in ihrer Individualität und Würde zu sehen, sei es die junge Mutter in Tansania, der alte jüdische Mann vor der Klagemauer oder die Jugendlichen aus dem Ruhrgebiet.
Auch die Aufnahmen von Menschen mit Behinderungen, die Vincent Böckstiegel ab den 1950er Jahren bis Ende der 80er in Bethel und anderen diakonischen und sozialen Einrichtungen machte, stellen die Abgebildeten als eigenständige Persönlichkeiten dar, nicht als abhängige „Pfleglinge“, wie es damals üblich war. Auf Böckstiegels Fotos sieht man Männer und Frauen bei ihrer Arbeit in den Werkstätten ebenso wie in der Freizeit, beim Tanz oder rauchend. Auf diese Weise wurde er auch zum Chronisten des gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit behinderten Menschen, der sich seit den 1960er Jahren vollzog.
„Allgemeingültig und zeitlos, das sind zwei Eigenschaften, die Vincent Böckstiegel für die Motive seiner Fotografien suchte“, schreibt David Riedel, künstlerischer Leiter des Museums Peter August Böckstiegel in Werther, im Katalog zur Ausstellung, die er anlässlich des 100. Geburtstags des Fotografen kuratiert hat. Zwar habe er sich selbst nach Auskunft von Weggefährten ausdrücklich nicht als Künstler bezeichnen wollen. Aber wenn man die künstlerische Komposition mancher Aufnahmen betrachte, so Riedel, dann könne man durchaus zu dem Schluss kommen: „Das hätte auch seine Vater Peter August Böckstiegel machen können.“