
Jeder Mensch hat eine Mutter. Jeder Mensch erwägt, hofft oder fürchtet, irgendwann Mutter oder Vater zu werden. Und seit dem Mittelalter haben Künstler Mutterliebe, Mutterleben und Mutterschmerz gemalt, in Skulpturen gestaltet, in Musik gesetzt. Für die Ausstellung im Düsseldorfer Kunstpalast „MAMA. Von Maria bis Merkel“, ist es drei Kuratorinnen gelungen, eine unsentimentale, oft überraschende Ausstellung zu gestalten.
Bis 13. August geht es in der Schau nicht nur um Loblieder auf Mütter, sondern die Ausstellung blickt auch auf das Leben von Frauen, die, freiwillig oder nicht, keine Mütter geworden sind. Verhütung und Abtreibung gehören zum Mutter-Kosmos ebenso wie der Schmerz beim Tod des Kindes, dargestellt in mittelalterlichen Mariendarstellungen, Pietà-Skulpturen, und in jüngeren Darstellungen wie von der deutschen Bildhauerin Käthe Kollwitz.
„Wir haben den Titel 'Mama' gewählt, weil er die Gefühle anspricht, die in jedem Menschen beim Gedanken an Mütter entstehen“, sagt Kuratorin Linda Conze dem Evangelischen Pressedienst (epd). Mama, die beiden Silben gelten als Urlaute des Menschseins.
Ende der 1960er Jahre war das Wort in dem Lied von Kinderstar Heintje eine Art Beruhigungspille für das Bürgertum: Auch wenn auf den Straßen die außerparlamentarische Opposition demonstriert, bleibt die Welt in Ordnung, bleibt Mama. So könnten sich Besucher im ersten Ausstellungsraum mit dem Lied und Fernsehaufnahmen in diese Zeit zurückversetzen - sollten sich aber, warnen die Kuratorinnen, nicht einlullen lassen. Denn der Song war zuvor in einer nur leicht veränderten Fassung eine Hymne des italienischen Faschismus.
Zu jeder Zeit werden Frauen beeinflusst, wie sie ihre Mutterrolle leben sollen. Eine ganze Bücherwand mit Ratgebern zeugt von diesen, zum Teil wohlmeinenden, zum Teil vehementen Versuchen, Mütter zu formen. Besonders einflussreich war von der Kaiserzeit bis in die 1960er Jahre das Buch „Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind“ von Johanna Harer. Im Gegensatz zum heutigen Erziehungsverständnis drängte die Schrift Frauen dazu, ihrem Kind Bedürfnisse eher zu versagen, als sie zu stillen. Schon für die ersten Lebensmonate sollte die Devise gelten: „gelobt sei, was hart macht“.
Die in der Kunst am meisten dargestellte Mutter ist die biblische Gestalt der Maria. Eine ganze Wand von Marien-Darstellungen aus dem eigenen Fundus zeigt das Museum. „Dass der Protestantismus die Maria aus der täglichen Religionspraxis gedrängt hat, hat Frauen freier gemacht“, sagt Westrey Page vom Kuratorinnen-Team. Viele hätten danach freier wählen können, ob sie physisch Mütter werden oder geistig produktiv sein wollten. Ihnen stand, zwar für lange Zeit nur, aber immerhin, der Weg ins Kloster offen.
Jahrhundertelang war es nicht selbstverständlich, dass Mütter ihre eigenen Kinder aufzogen. Den Kuratorinnen zufolge hätten Frauen erst um 1800 sich in großer Mehrheit dazu entschieden, ihre Kinder selbst zu stillen und aufzuziehen. „Zuvor haben nicht nur reiche und adelige, sondern auch bürgerliche Familien Ammen zur Aufzucht ihrer Kinder beschäftigt.“
Die arbeitende, sogar hart arbeitende Mutter ist keineswegs ein Phänomen der modernen Zeit. „Schon im 19. Jahrhundert mussten Frauen ihre Kinder mit zur Arbeit nehmen“, sagt Linda Conze. Ein eindrucksvoller Beweis dafür ist die Skulptur „Die Steinklopferin“ des Düsseldorfer Bildhauers Karl Janssen. Eine sitzende Frau schaut besorgt auf ihr Baby. Es liegt neben ihr, unbequem auf dem felsigen Boden, während sie im Steinbruch Schwerstarbeit leistet.
Auch das Selbstverständnis von Frauen, die keine Kinder haben, wird thematisiert: In einer Rauminstallation hängen 170 vergoldete Schalen aufgeschlagener Hühnereier von der Decke. Die serbische Künstlerin Marta Jovanovic will damit jeden Zyklus ihres eigenen Lebens würdigen, der kein Kind hervorbrachte, in dem eine Eizelle nicht befruchtet wurde. Die Fotografin Elina Brotherus nennt Bilder von sich selbst in nachdenklicher Haltung, in der sie sich offenbar mit ihrer eigenen Fruchtbarkeit beschäftigt, „Verkündigung“. Und Nina Hagen singt in „Unbeschreiblich weiblich“ von einer Abtreibung.
Dass auch die biblische Maria ambivalent auf die Verkündigung, sie werde den Gottessohn gebären, reagiert haben könnte, zeigt ein Bilderzyklus von Albrecht Dürer. Künstlerisch ist er einer der vielen Höhepunkte der Schau.
Als Mutti wurde die CDU-Politikerin Angela Merkel als Kanzlerin oft bezeichnet. „Selbst hat sie sich aber gar nicht als Mutter der Nation dargestellt. Es waren eher die Medien und Anhängerinnen, die sie in diese Rolle gedrängt haben“, sagt Kuratorin Anna Christina Schütz. Daran könne man die Sehnsucht einer Gesellschaft nach Mutterfiguren erkennen.
Wie schon kleine Mädchen mit Mutterbildern konfrontiert werden, beweist die schwangere Figur Midge aus dem Barbie-Kosmos. In einer ersten Auflage sei diese Puppe als sehr junges Mädchen gezeigt worden, sagt Schütz. „Aber dann hat der Konzern ihr in der zweiten Auflage einen Ehering an den winzigen Finger gesetzt, damit kleine Amerikanerinnen wissen, wie sie sich zu verhalten haben!“