Gleich zu Beginn erklingt die deutsche Bergbauhymne Steigerlied auf Oshiwambo - einer der Sprachen Namibias, gesungen von den African Vocals aus Windhoek. In der Neufassung des Künstlers Emeka Ogboh geht es um koloniale Landnahme, Ausbeutung, Wunden, Erinnerung und Neubeginn. Jede Stimme hat einen eigenen Lautsprecher. Der Gesang im früheren Pumpenhaus des Weltkulturerbes Völklinger Hütte klingt nahezu sakral. Die Klanginstallation „The Land Remembers“ mache aus dem Steigerlied afrikanisches Liedgut, sagt Generaldirektor Ralf Beil. Es ist der Auftakt der Schau „The true size of Africa“.
Afrika sei nicht oder nicht immer im europäischen Blickfeld, erläutert Beil. „Wir setzen der großen, oft geschönten Erzählung unserer westlichen Zivilisation exemplarisch neue Erzählungen von Afrika gegenüber, die uns zum Spiegel und zur Quelle der Selbsterkenntnis werden können.“ Die Schau ist in Zusammenarbeit mit dem Käthe Hamburger Kolleg für kulturelle Praktiken der Reparation entstanden. Sie umfasst 26 Künstlerinnen und Künstler aus Afrika und der globalen Diaspora. Insgesamt sind mehr als 100 Objekte zu sehen.
Ein sogenanntes Museum of Memorability, sozusagen ein Museum der Denkwürdigkeiten, lädt zu der Auseinandersetzung mit Stereotypen und Geschichte ein. Es zeigt die falsche Darstellung des afrikanischen Kontinents auf Karten, blickt unter anderem auf mittelalterliche Königreiche in Afrika, Kolonialisierung und die Kongokonferenz in Berlin vor 140 Jahren. Der Kolonialismus habe wie der Nationalsozialismus „jede Pore durchtränkt“, betont Beil. Das habe sich etwa auch in Kinderbüchern gezeigt. Und die Auswirkungen christlicher Missionare seien bis heute auf dem afrikanischen Kontinent zu spüren. Eine Spätfolge sei, dass etwa bis heute in Uganda auf Homosexualität die Todesstrafe stehe.
Nach dem Denkwürdigkeiten-Museum haben die heutigen Künstlerinnen und Künstler ihren Auftritt - mit Installationen, Fotografien, Gemälden und Filmen. Susana Pilar Delahante Matienzo präsentiert Kommoden aus dem 19. Jahrhundert, auf denen Fotos zu sehen sind, die aus dieser Zeit stammen könnten. Sie zeigen Schwarze, die wie das damalige Bürgertum in Europa bei einer Kutschfahrt, auf dem Pferd oder beim Kaffeeklatsch sind. Dabei handelt es sich jedoch um KI-Bilder, denn die Künstlerin möchte verdeutlichen, welche Vergangenheit den verschleppten Menschen gestohlen worden ist.
Der Künstler Omar Vitor Diop ist mit drei Werkgruppen vertreten. Die Serie „Diaspora“ besteht beispielsweise aus Selbstporträts, auf denen er historische Schwarze Persönlichkeiten zeigt, die in der Diaspora einen hohen sozialen Status erreicht haben, aber in der Geschichtsschreibung nicht vorkommen. Um den Bruch zu heute zu verdeutlichen, hält er Fußballutensilien, die den Kampf von afrikanischen Spielerinnen und Spielern um Anerkennung zeigen sollen.
Eine Verbindung zwischen der Völklinger Hütte und Namibia stellt die Künstlerin Memory Biwa her. Für ihre Installation „Ozerandu“ hat sie den roten Staub der Hütte mit dem roten Staub der Wüste verbunden und Sinterkuchen „gebacken“. Sie hat nach eigenen Worten unterschiedliche Geräusche wie Stahlproduktion, Stimmen und Bodenverarbeitung miteinander kombiniert, um so eine Kulisse zu erschaffen, die die Orte verbindet.
Das Kollektiv CATPC zeigt wiederum Skulpturen aus Schokolade, die im 3D-Druck entstanden sind. Sie machen auf die Nutzung von Kakao und Palmöl aufmerksam. Aus dem Verkauf ihrer Kunstwerke kaufen sie laut Beil wiederum das Land früherer Plantagen zurück, um es nachhaltig nutzbar zu machen. John Akomfrah lädt zur Dreikanal-Videoinstallation „Four Nocturnes“ ein, die von großen Themen wie Klima und Migration handelt und sich dabei der vier Elemente Feuer, Erde, Wasser und Luft bedient.
Mit einem Astronautenanzug aus Elektroschrott war das Künstlerkollektiv Kongo Astronauts in der Völklinger Hütte unterwegs und hat sich bei der Erkundung des Geländes gefilmt. Sie wollen auf den Abbau des Rohstoffs Coltan für die Produktion von Handys aufmerksam machen und den Elektroschrott, der später wieder zurück nach Afrika geschickt wird.
Im Außenbereich der Hütte versteckt sich noch der Chor der Zurückgelassenen („The Chorus of the Abandoned“) von Emeka Ogboh. Mit der Klanginstallation hat er Hängewagen der Hütte wieder zum Leben erweckt, die alle ihre eigenen Geräusche erzeugen.
Die Schau ist flächenmäßig die bisher größte der Völklinger Hütte und erstreckt sich über Gebläse-, Verdichter- sowie Erzhalle und Sinteranlage. Bis zum 17. August 2025 können Besucherinnen und Besucher sie entdecken.
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