
Es ist ein Dialog der besonderen Art, den die traditionsreiche Villa Hügel in Essen einem kunstinteressierten Publikum bis zum 27. Juli präsentiert. Denn erstmals zeigen die 21 RuhrKunstMuseen aus den Ruhrgebietsstädten rund 120 ihrer modernen und zeitgenössischen Exponate in einer gemeinsamen Schau. Hier treffen klassische Industriemotive wie qualmende Schlote und triste Autobahntrassen auf berühmte Werke von Marc Chagall, August Macke oder Paula Modersohn-Becker. Malerei und Fotografie treffen auf Skulpturen oder Multimedia-Installationen und bieten ungewöhnliche Panoramen. Dialogisch deshalb, weil sie in zehn Themenräumen eine einzigartige Liaison auf Zeit eingegangen sind. Neu geordnet nach Themen wie Sinn und Traum, Kauflust, Mobilität oder Tradition im Wandel.
Beispielhaft ist gleich der erste Raum im Obergeschoss der Industriellenvilla zum Thema „Bild der Frau“. Als Blickfang im Zentrum steht die lebensgroße Plastik Große Sinnende (2013) von Wilhelm Lehmbruck aus dem Duisburger Lehmbruck Museum. Die klassische Schöne wird kontrastiert von Gerhard Richters modernem Schwarz-Weiß-Bildnis Mutter und Tochter (1965) mit Brigitte Bardot aus der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen und Rosemarie Trockels abstraktem Herdbild (1993) aus dem MKM Museum Küppersmühle mit sieben Herdplatten - in der Gesamtsicht spiegeln die Werke einen neuen feministischen Blick auf die Weiblichkeit auch in der Kunst.
„Wir haben versucht, Sinnzusammenhänge herzustellen und einzelne Werke spielerisch miteinander zu verknüpfen“, erläutert Peter Gorschlüter, Netzwerk-Sprecher der 21 RuhrKunstMuseen, den mehrjährigen gemeinsamen Entstehungsprozess der Sonderausstellung. Jedes Museum habe ein Impulswerk benannt, erkennbar an der verspiegelten und damit reflektierenden Fläche, auf der es jetzt steht - auch das eine Einladung zum Dialog. Passend dazu hätten andere Museen weitere Werke beigesteuert, einzig aus den teils wenig bekannten Schätzen der eigenen Sammlungen. Und natürlich gehe es bei dem Gemeinschaftswerk jetzt auch darum, so Gorschlüter, Menschen zum Museumsbesuch vor Ort zu animieren.
„Kunst verbindet, sie schafft Gemeinschaft und auch Identität hier im Ruhrgebiet“, betont Ursula Gather, Kuratoriumsvorsitzende der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, die Eigentümerin der Villa Hügel ist. Unverkennbar geht es auch bei der aktuellen Ausstellung neben Bezügen in die internationale Kunstwelt um das Ruhrgebiet und seine Umbrüche. Der größte Themenraum Arbeit und Struktur etwa wird beherrscht von Denise Ritters monumentaler 6-Kanal-Klanginstallation „mono/industriell“ (2018). Kurz vor Schließung der letzten Zeche im Ruhrgebiet, Prosper-Haniel in Bottrop, hat sie die Akustik dort eingefangen - jetzt hallen Hammerschläge, Metallreifen und Männerstimmen durch den Raum: „Halt mal an, eh!“ Daneben an der Wand eine Farbstudie von Josef Albers (1940) aus dem Museum Quadrat Bottrop.
Wer noch weitere Ruhrgebietsassoziationen sucht, wird im Themenfeld Lebenszeichen fündig, der die Welt als Wohnzimmer abbildet. Hier können Revierfans die „Essenz der Kohle“ als Duftprobe auf Pappe aus einem Flakon mitnehmen. Und Günther Ueckers mit Nägeln gespickter Fernseher (1963) aus dem Skulpturenmuseum Marl lässt früh aufgekommene Kritik an den Massenmedien lebendig werden.
Einen erschütternden Blick auf die anhaltende Gewalt in der Welt liefert der schmale Themenraum Umbrüche mit einem Stahltisch (1969) des Beuys-Schülers Anatol Herzfeld aus dem Museum Ostwall im Dortmunder U. In einer Kunstaktion 1969 wurden dort Menschen fixiert und durften nur bei grünem Licht sprechen - Zensur und Meinungsfreiheit als Politikum bis heute. Daneben ein grelles, großformatiges Gemälde von Wolf Vostell aus dem Museum Folkwang vom Grenzübergang zu DDR-Zeiten. Und Richard Serras Lithografie „Stop Bush“ (2004) mit dem Abbild eines vermummten Folteropfers aus dem irakischen Gefängnis Abu Ghraib.
Es sind Bilder, die hier wie auch in den anderen Räumen ungewöhnliche Parallelen und spannungsreiche Verknüpfungen zwischen Gegenwart und Vergangenheit herstellen. „Wir haben versucht, in jedem Raum einen Jahrhundertbogen zu spannen“, sagt Peter Gorschlüter, „zeiten- , epochen- und gattungsübergreifend“. Dank des großen Fundus mit rund 500.000 Werken in den 21 RuhrKunstMuseen ist das in dieser Schau eindrucksvoll gelungen.
Auch wenn sie nicht, wie der Name vermuten lässt, 441 Exponate hat. Hintergrund der aktuellen Ausstellung unter dem Titel „21x21. Die RuhrKunstMuseen auf dem Hügel“ ist das 15-jährige Bestehen des Netzwerks, das zum Kulturhauptstadtjahr Ruhr.2010 entstand. Es zeigt nach eigenen Angaben jährlich mehr als 150 Ausstellungen auf 45.000 Quadratmetern in 16 Ruhrgebietsstädten. Die Initialzündung für die Sonderausstellung entstand durch die namensgebende digitale Web-App mit gut 400 Kunstwerken, die bereits seit November 2024 online ist: www.21x21.de. Beide Projekte werden von der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung gefördert.