
Wichtige Themen haben es zunehmend schwer, in den Medien wahrgenommen zu werden. Zu diesem Schluss kommt die Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) in ihrer in Köln veröffentlichten Liste mit den zehn relevantesten vergessenen Themen des vergangenen Jahres. Wichtige Nachrichten würden verstärkt durch wenige Dauerbrenner-Themen verdrängt, erklärte Hektor Haarkötter, INA-Vorsitzender und Professor für politische Kommunikation an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Das wichtigste vergessene Thema war nach Ansicht der INA-Jury die Rolle deutscher Rüstungsexporte im Zusammenhang mit Kindersoldaten.
„Wir sehen aktuell eine echte Nachrichtenschwemme in den sozialen Medien und gleichzeitig eine starke Themenverengung“, sagte Haarkötter. Beispielhaft dafür sei der jüngste Wahlkampf, in dem es fast ausschließlich um Migration, Inflation und Verteidigung gegangen sei. Seit der Corona-Pandemie habe sich das „Schwarmverhalten“ bei den Medien verstärkt, die sich seitdem auf weniger Themen fokussierten, stellte INA-Vorstandsmitglied Marlene Nunnendorf fest.
Auf Platz eins der verdrängten Themen des vergangenen Jahres sieht die INA die Folgen deutscher Kleinwaffenexporte in Kriegsgebiete. Weltweit würden mehr als 250.000 Kinder und Jugendliche in militärischen Konflikten und kriegerischen Handlungen eingesetzt, wobei sie vor allem mit Kleinwaffen ausgerüstet würden. Deutschland, als zweitgrößter Exporteur von Kleinwaffen, habe trotz internationaler Abkommen seine Rüstungspolitik nicht ausreichend angepasst. In deutschen Medien werde darüber praktisch nicht berichtet.
Gleiches gelte für die katastrophale Lage der Menschen im Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Samos. Über die dortigen menschenunwürdigen Lebensbedingungen werde kaum berichtet, erklärte die Initiative. Ebenso sei das Verbot von Menschenrechtsorganisationen in Äthiopien im November 2024 kaum in deutschen Medien thematisiert worden. Deutschland habe als Mitglied des UN-Menschenrechtsrates durch seine Enthaltung bei wichtigen Abstimmungen internationale Kontrollmechanismen geschwächt. Das begünstige die Straflosigkeit in dem Land.
Auf Platz vier der Liste der verdrängten Themen steht eine Folge des Wohnungsmangels. In Deutschland sei die Zahl derjenigen Menschen stark gestiegen, die sich trotz eines Vollzeitjobs keine Wohnung leisten könnten. Zu wenig berichtet werde außerdem über die Bildungsungerechtigkeit für Pflege- und Heimkinder, die sinkende Zahl tödlicher Arbeitsunfälle, das Risiko medizinischer Fehleinschätzungen bei Menschen mit Migrationshintergrund und die unaufgearbeitete Geschichte der DDR-Vertragsarbeiter aus Mosambik.
Zudem vermisste die Jury Berichte über ein neues Gesetz zum Beamtenrecht. Danach können Vorgesetzte statt eines langwierigen Entscheidungsprozesses mittels Disziplinarklagen nun durch Disziplinarverfahren über die Entlassung von Beamten mit verfassungsfeindlicher Gesinnung entscheiden. Das ermögliche potenziellen Machtmissbrauch. Zu den vernachlässigten Themen zähle auch die sogenannte Erdrosselungsgrenze im Steuerrecht - ein juristisches Prinzip, das verhindern soll, dass Menschen durch Steuerzahlungen wirtschaftlich überfordert werden.
Die INA veröffentlicht jährlich gemeinsam mit der Nachrichtenredaktion des Deutschlandfunks eine Liste der zehn am meisten „vergessenen Nachrichten“. Die Themen werden von einer Jury aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Journalistinnen und Journalisten auf Grundlage von Vorschlägen aus der Bevölkerung gekürt.