Das Fell so weich, dass man hineinfassen will: Der Hase in der Kunst
s:8:"Feldhase";
Feldhase
Düsseldorf, Wien (epd).

„Der Hase erscheint uns in der Natur als Fluchttier, er hat ein schönes weiches braunes oder graues Fell, der leicht verletzbare Bauch ist weiß“: So beschrieb der Wiener Aktionskünstler Hermann Nitsch (1938-2022) den scheuen Osterboten einmal. Der Hase fliehe instinktiv vor dem Tod und kenne dabei „Augenblicke der Behaglichkeit“, ja gar „intensiver Lebensfreude, die er der permanenten Gefahr abtrotzt“, glaubte er.

Dass Hasen Künstler schon vor Jahrhunderten faszinierten, ist in Nitschs Heimatstadt zu sehen: Das Wiener Kunstmuseum Albertina hütet den berühmtesten Kunst-Hasen, Albrecht Dürers „Feldhasen“ aus dem Jahr 1502. Der gebürtige Nürnberger Dürer porträtierte das Tier in einem Aquarell anmutig im Dreiviertelprofil und extrem lebenswahr: Ein kleiner Feldhase als großer künstlerischer Wurf, das Fell so weich, dass man hineinfassen will.

Damit ihm nichts passiert, wird das prominenteste Werk der Albertina allerdings sehr, sehr selten im Original gezeigt. Was den Hasen aus kunstwissenschaftlicher Sicht so einzigartig mache, sei „Dürers stupendes Vermögen in Betrachtung und Wiedergabe“, sagte Kurator Christof Metzger dem epd: „Er konzentriert alles auf schärfste Beobachtung und die detailgenaue Darstellung, sodass der Hase wie belebt den Betrachtenden gegenübertritt.“ Und dabei nicht fluchtbereit, sondern in „entspannter Mümmelstellung“.

Mit dem „atemberaubenden Naturalismus“ könnte Dürer laut Metzger beabsichtigt haben, mit dem Hasen des Künstlers Polygnot aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. zu wetteifern: Das Tier auf dessen Wandbild in Athen gelang „so vollkommen, dass jeder es für lebendig hielt“. Dürer bettete Hasen aber auch in biblische Szenen, beispielsweise im Holzschnitt „Die Heilige Familie mit den drei Hasen“.

Im Zusammenhang mit dem christlichen Osterfest fällt der Blick natürlich auch immer wieder auf den Hasen. Zwar spiele das Tier, erklärte Bettina Schmitt vom Dommuseum Frankfurt, in der Osterliturgie keine Rolle, doch sei es „im christlichen Kunstkontext an vielen Stellen mit unterschiedlichen Bedeutungen anzutreffen“. Der Symbolgehalt des Hasen ist reich, er steht für Sinneslust ebenso wie für den Kern der Osterbotschaft: den Triumph des Lebens über den Tod.

Das Tier ist in der Antike wie auch der christlichen Ikonografie fest verankert. Tizians „Madonna mit dem Kaninchen“ im Louvre beispielsweise kann als Hinweis auf die Wiederauferstehung Christi und damit auf das Osterfest interpretiert werden: Maria sitzt in freier Natur, sie bekommt das Jesuskind gereicht, während sie mit der linken Hand einen weißen Hasen festhält.

Eine besondere Rolle spielte er bei Joseph Beuys (1921-1986). Als der Künstler vor 60 Jahren einem Galeriepublikum in Düsseldorf seinen erweiterten Kunstbegriff demonstrierte, trug er einen toten Hasen auf dem Arm, ging mit ihm durch die Galerie und gab vor, mit ihm ein Zwiegespräch zu führen. „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“, hieß die Aktion.

Sein goldener „Friedenshase“ in der Staatsgalerie Stuttgart ist jetzt wieder relevant. Christof Metzger von der Albertina ruft in Erinnerung, dass Beuys im Jahr 1982 während der documenta 7 eine Kopie der Zarenkrone Iwans des Schrecklichen einschmolz: ein „überholtes Symbol autokratischer Herrschaftsform“. Daraus goss er einen Hasen und eine Sonnenkugel. Schmitt erläutert: „Mit dem Hasen verbindet sich immer auch die Assoziation an Frieden, und er kann für Fragestellungen der Transzendenz dienen.“

Dem walisischen Bildhauer Barry Flanagan (1941-2009) war der Hase Signaturtier. Der zweifache documenta-Teilnehmer zeigte ihn gern auf dem Sprung: Mit Bronzeporträts von Hasen setzte Flanagan weithin sichtbare Zeichen im öffentlichen Raum.

Gegenwartskünstler mögen ihn auch. Seit Jahren gestaltet die Wiesbadener Malerin Kerstin Jeckel die limitierte Osterpostkartenserie „Osterhasen im neuen Kleid“. Dafür wählt sie Ausschnitte aus ihren aktuellen Gemälden, die - digital unterstützt - jeweils musterhaft das „neue Kleid“ ergeben.

Für die Frankfurter Künstlerin Vroni Schwegler ist Hasenmalen künstlerisches Lebenselixier, wie sie sagt. Erste Hasen habe sie in Öl auf gefundene Holzstücke gemalt: „Ich wollte die toten Körper im Farbraum bergen.“ Sie ist eine Schülerin von Hermann Nitsch, für sie schrieb er den „Fluchttier“-Text. Unlängst ritzte Schwegler - ausgehend von einem Motiv des niederländischen Malers Jan Fyt aus dem 17. Jahrhundert - einen Hasen in aufgeschnittene Milch-Tetrapaks, um ihn als Kaltnadelradierung zu drucken. Das Ergebnis unterstütze „den Eindruck der fragilen, gefährdeten, ausgesetzten Kreatur“, findet die Künstlerin. Dürer hätte Augen gemacht.

Von Dorothee Baer-Bogenschütz