80 Jahre Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus
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Ausstellung "Nach Hitler" im Bonner Haus der Geschichte
Bonner Haus der Geschichte zeigt Ausstellung "Nach Hitler"
Bonn (epd).

Es war ein seltsames Stück, das ein alter Herr 2007 in eine Antiquitätenhandlung schleppte: ein altmodisches, aber gut erhaltenes Kinderfahrrad. Der Herr wollte es einfach loswerden. Begründung: Er habe für einen Freund darauf aufgepasst, aber der sei nicht wiedergekommen. Auf Umwegen landete das Fahrrad im Haus der Geschichte, wo es in der Ausstellung „Nach Hitler. Die deutsche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus“ zu sehen ist. Die Schau geht der Frage nach, wie sich verschiedene Generationen bis heute zum Nationalsozialismus verhalten oder sich damit beschäftigen.

Präsentiert werden knapp 500 Objekte, Dokumente sowie Filmausschnitte, Medienstationen und eine Mitmachstation. Grafisch aufbereitete Umfrageergebnisse zum Thema Nationalsozialismus von den 1950er Jahren bis in die Gegenwart dokumentieren die Haltung der jeweiligen Generationen zum Thema Nationalsozialismus.

Das Kinderfahrrad ist eines der ausdrucksstarken Objekte im ersten Teil der Ausstellung, der sich mit der Zeitzeugen-Generation des Nationalsozialismus beschäftigt. Seine Speichen und Reifen sind mit einer Stuttgarter Zeitung von 1936 umwickelt. „Vermutlich hat es einem jüdischen Jungen gehört, der es seinem Freund zur Aufbewahrung gegeben hat - in der Hoffnung, eines Tages wieder zurückzukehren“, sagt Ausstellungskurator Hanno Sowade. Hugo Bruß bewahrte ebenfalls ein Stück einer jüdischen Kindheitsfreundin sorgsam auf: Ein gerahmtes Foto der kleinen Ingeborg hing im Wohnzimmer des Duisburgers - bis er 1996 in ein Seniorenheim zog.

Doch lange nicht alle Menschen wahrten ein solches Gedenken an ihre ermordeten oder enteigneten jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger. Das zeigte sich noch 1962 in einer Straßenumfrage eines Fernsehmagazins. Da bejaht eine Frau die Frage, ob es in Deutschland zu viele Juden gebe. Ein Mann ist der Meinung, die Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus sei durchaus gerechtfertigt gewesen.

Das änderte sich mit der nächsten Generation. Die nach dem Krieg geborenen Kinder warfen Fragen auf, denen sich ihre Eltern nicht gestellt hatten. Die Ausstellung zeigt Filmmaterial der Studentenproteste von 1968. Symptomatisch für diese Zeit ist ein schwarzes Banner mit der Aufschrift „Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren“, das Studenten am 9. November 1967 bei der Antrittsfeier des neuen Rektors an der Universität Hamburg entrollten. „Sie gehören alle ins Konzentrationslager“, rief daraufhin einer der empörten Professoren den Studenten zu.

In der DDR habe es anders als im Westen keinen solchen Bruch zwischen den Generationen gegeben, erklärt Anne Martin, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Haus der Geschichte. Die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) erklärte, die DDR weise im Gegensatz zur Bundesrepublik keinerlei Kontinuität zum Dritten Reich auf. Dennoch überdauerte der Rechtsextremismus auch in der DDR. Das belegen unter Verschluss gehaltene Berichte des damaligen Ministeriums für Staatssicherheit.

Einen erheblichen Anstoß für die Diskussion über den Nationalsozialismus in Deutschland brachte 1979 die Ausstrahlung der US-amerikanischen Serie „Holocaust“ im deutschen Fernsehen, die die Ausstellung in Ausschnitten zeigt. Die Zuschauer zeigten heftige Reaktionen, die in einer Sendung im Anschluss an die Ausstrahlung vorgelesen wurden. Viele drückten ihre Fassungslosigkeit aus. Aber es gab auch ehemalige Wehrmachtsangehörige, die zugaben: „Es war wirklich so.“

Die Ausstellung präsentiert einige eindrucksvolle Zeugnisse aus der Zeit, in der eine Gedenkkultur an den Nationalsozialismus entstand. Zu sehen ist etwa das aus einem Fahrrad-Vorderteil bestehende Schriftgerät, mit dem der Künstler Günter Demnig 1990 den Deportationsweg von Sinti und Roma durch Köln nachzeichnete. Die Diskussion um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin wird mit den verschiedenen Entwürfen nachgezeichnet. Gezeigt wird auch der Original-Entwurf von Peter Eisenman. Sein Stelenfeld wurde 2005 fertiggestellt.

Im letzten Abschnitt wendet sich die Ausstellung der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu. Da gibt es Zeichen der Hoffnung wie etwa den Brief, mit dem sich eine Schulklasse bei der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer für ihren Besuch bedankt. Für die fortdauernde Bedrohung durch den Rechtsextremismus stehen unter anderem die Überreste eines Bücherschranks nahe des Berliner Mahnmals „Gleis 17“. Er wurde 2023 durch einen Brandanschlag zerstört, mittlerweile aber ersetzt.

Die Sonderausstellung „Nach Hitler“ ist während der gesamten Zeit des Umbaus im Haus der Geschichte geöffnet. Die Dauerausstellung des Hauses schließt am Sonntag und wird bis Ende 2025 neu konzipiert.

Von Claudia Rometsch