Pfarrer zu Germanwings-Absturz: Zeit alleine heilt keine Wunden
s:68:"Gedenkstätte für Opfer des Germanwings-Absturzes in Haltern am See";
Gedenkstätte für Opfer des Germanwings-Absturzes in Haltern am See
Drei Fragen an den evangelischen Seelsorger Karl Henschel
Haltern am See (epd).

Der Germanwings-Absturz in den französischen Alpen vor zehn Jahren hat in Haltern am See Narben hinterlassen. Der 27 Jahre alte Co-Pilot hatte den Airbus am 24. März 2015 absichtlich zum Absturz gebracht und insgesamt 149 Menschen mit in den Tod gerissen, 18 von ihnen kamen aus Haltern. Henschel begleitete damals Menschen in seiner Stadt im nördlichen Ruhrgebiet und beerdigte zwei der gestorbenen Schülerinnen. Die Katastrophe bleibe in der Stadt präsent, sagte der 2022 in den Ruhestand getretene evangelische Pfarrer dem Evangelischen Pressedienst (epd).

epd: Herr Henschel, die Flugkatastrophe, bei der 14 Schülerinnen, zwei Schüler und zwei Lehrerinnen aus Haltern am See starben, liegt inzwischen zehn Jahre zurück. Kann die Zeit Wunden heilen?

Henschel: Die Zeit alleine nicht. Viel hängt vom Trauerprozess ab. Die Wunde kann mitunter lange schmerzen, dann bildet sich vielleicht, bildlich gesprochen, eine neue Haut. Für einige Tage, Wochen oder Monate schmerzt die Wunde nicht mehr so stark. Aber die Haut kann reißen, und Schmerz und Trauer kehren heftig zurück. Manchmal helfen Menschen, Begegnungen, neue Projekte oder Aufgaben, um Schmerz zu überwinden und Hoffnung zu geben. Aber eine Narbe bleibt immer.

epd: Was bedeutet die Flugkatastrophe heute noch, zehn Jahre später, für die Stadt?

Henschel: Es wächst natürlich auch eine neue Generation heran, das gilt sicher besonders für das Gymnasium. Die Katastrophe rückt für die Jugendlichen ein Stück in den Hintergrund. Aber für diejenigen, die hier leben, bleibt sie immer weiter präsent. Uns bringt eine Frau einmal die Woche Eier und Kartoffeln vom Bauernhof ins Haus: Es ist eine Mutter, die ihre Tochter verloren hat. Und wenn ich um den Halterner See jogge, begegnet mir oft ein Vater, dessen Tochter bei dem Unglück ums Leben kam. Es lässt uns also nicht los.

epd: Die Katastrophe habe die Stadt auch so sehr getroffen, weil hier „jeder jeden kennt“, hieß es damals. Ist das in einer Stadt mit fast 40.000 Einwohnern nicht übertrieben?

Henschel: Natürlich ist es übertrieben, aber in gewisser Hinsicht stimmt es. Als ich damals von der Flugkatastrophe erfuhr und mich auf den Weg ins Gymnasium machte, dachte ich erst nur: Hoffentlich kennst du keines der Opfer - und als ich die Liste sah, habe ich sofort mehrere Namen erkannt. Haltern ist eine Stadt, aber in vielfacher Hinsicht auch ein Dorf mit einer sehr ländlichen Struktur.

epd-Gespräch: Michael Ruffert