
Zu den zweifellos größten Arbeiten aus ihrem Atelier gehören die Fenster in der Abteikirche St. Mauritius im saarländischen Tholey. Für das älteste Kloster Deutschlands hat die deutsch-afghanische Künstlerin Mahbuba Maqsoodi aus München 29 Fenster entworfen, eines davon war Vorlage für eine Weihnachts-Sonderbriefmarke im vergangenen Jahr. Arbeiten von ihr waren aber auch in Ausstellungen unter anderem in London, Moskau und St. Petersburg zu sehen. Jetzt führt diese Linie in das niedersächsische Dörverden, in die evangelische Dorfkirche St. Cosmae et Damiani.
Die Kirche in dem kleinen Ort zwischen Bremen und Nienburg steht auf einem uralten Kult- und Gerichtsplatz. Sie ist nach Cosmas und Damian benannt, die im dritten Jahrhundert in Kilikien im Südosten Kleinasiens als christliche Ärzte unterwegs waren - wenn man so will im Friedensdienst an den Menschen. Für Dörverden hat Mahbuba Maqsoodi ein Friedensfenster entworfen, das in der Karwoche eingebaut wurde. „Das Thema entstand unter dem Eindruck unserer Zeit“, sagt Gemeindepastor Rolf Görnandt und denkt dabei unter anderem an Kriege in der Ukraine, in Gaza und im Sudan.
Eine Jury der Gemeinde hatte sich zuvor aus vier Einsendungen für den Entwurf der Münchnerin entschieden, die 1957 im afghanischen Herat geboren wurde. 1994 erhielt sie und ihre Familie in Deutschland politisches Asyl. In ihrer Kunst entwickelte sie bald ein besonderes Gespür für Glas. „Das Glas lebt mit dem Licht“, schwärmt Mahbuba Maqsoodi, die von der Arbeit in der Werkstatt der Glasmalerei Peters im westfälischen Paderborn begeistert ist: „Sie haben das perfekt umgesetzt.“
Für Dörverden hat die muslimische Künstlerin diesen Dialog zwischen fließenden Farben und strömendem Licht unter dem Titel „Zeitgeist“ ergänzend zu den vorhandenen Buntglasfenstern der Kirche dramatisch inszeniert: Der Fuß des doppelglasigen Fensters ist in Purpur-, Violett- und Rottöne getaucht, die an Blut erinnern. Der Blick fällt in ein scheinbares Chaos, von Gewalt beherrscht.
Mit jedem Meter in die Höhe wandelt sich das teils gegenständliche, teils abstrakte Bild und schließt an der abgerundeten Spitze in hellen Gelb- und Ockertönen. Am Ende stehen, so kann man es lesen, Licht, Helligkeit und Frieden. „Das Kunstwerk bietet viele Möglichkeiten der Auslegung und stellt nicht nur die menschliche Verstrickung in Schuld und Gewalt dar, sondern auch die Hoffnung auf die Überwindung, auf Erlösung und ewigen Frieden“, betont Pastor Görnandt.
Sie habe das Fenster vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erfahrungen gestaltet, erzählt Mahbuba Maqsoodi. „Meine Kindheit war liebevoll. Dann, 1979, kam mit der russischen Besatzung wie ein Sturm der Krieg über uns und blieb - bis heute.“ Als ihre Schwester Afifa von einem islamistischen Terroristen erschossen wurde, kam für sie alles ins Wanken. Von Afghanistan flüchtete Mahbuba - arabisch für „Geliebte“ - zunächst nach Russland und schließlich nach Deutschland.
Dass sie als Muslima christliche Kirchenfenster gestaltet, mag ungewöhnlich erscheinen. Maqsoodi faszinieren Kirchen als spirituelle Räume. „Der Glaube ist eine wichtige Säule für Hoffnung“, ist sie überzeugt. Hoffnung auf Frieden werde sich aber nur erfüllen, wenn der Mensch Verantwortung übernehme. „Vernunft ist der einzige Weg, klug zu handeln und Kriege zu verhindern“, sagt die Humanistin. Ob für sie in dieser von Kriegen erschütterten Welt die Hoffnung auf Frieden überwiege? Mahbuba Maqsoodi antwortet entschieden: „Ja, auf jeden Fall.“
Möglich, dass das spendenfinanzierte Friedensfenster von Dörverden viele Menschen in die Kirche zieht, die nach Ostern und bis Ende Oktober täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet ist. „Wir sind sehr gespannt auf die Wirkung, wenn es jetzt in voller Größe und ganzer Strahlkraft zu sehen ist“, sagt Pastor Görnandt und ergänzt: „Und auf den Impuls, den das Kunstwerk bei Menschen der nächsten Jahrzehnte hinterlassen wird.“