
1.200 Treppenstufen führen zur Höhle des Heiligen Antonius in der ägyptischen Wüste. Deutlich mehr als etwa im Ulmer Münster (768 Stufen) - und trotzdem wären die Anhänger von Antonius (um 251-356) die Strecke sicher nur zu gerne hinaufgestiegen. Sie wollten so nah wie möglich an dem Heiligen sein, der seine Höhle mit niemandem teilte. Also gründeten sie am Fuße des Berges Kolzim am Roten Meer eine lose Gemeinschaft - aus der im vierten Jahrhundert eines der ersten Klöster der Welt wurde.
Pater David ist einer von gut 120 Mönchen, die heute im Antoniuskloster leben. Er trägt einen langen grauen Bart und seine schwarze Mönchskutte, auf deren Kapuze zwölf goldene Kreuze eingestickt sind. „Sie stehen für die zwölf Apostel und sollen unsere Gedanken vor Angriffen des Teufels schützen“, sagt er. In den Anfechtungen des Teufels und seiner Dämonen sehen die Mönche nicht nur lästige Nebenwirkungen eines frommen Lebens - sondern ihre Mission.
Als sich das frühe Christentum territorial ausbreitete, ging man davon aus, dass sich die bösen Mächte in die Wüste zurückzogen. Antonius und andere Einsiedler suchten daher bewusst die Schlupflöcher dieser Dämonen auf, um sie - mithilfe von Gebet und Askese - endgültig zu überwinden.
Heute pilgern die Kopten in Massen zur Antoniushöhle. Entlang der Treppe stehen rostige Metallschilder, die jedoch eher im metaphorischen Sinn als Wegweiser taugen. „Halte alle Menschen für gerechter als dich selbst“, steht auf einem, „Vater Antonius“ darunter.
„Um einsam leben zu können, braucht man einen Lehrer“ erklärt Jan Reitzner. Der 29-jährige Theologe forscht an der Universität Tübingen und hat seine Doktorarbeit den Sprüchen des Antonius und anderer Wüstenväter gewidmet, die auf griechisch „Apophthegmata Patrum“ heißen. „Sie reichen von sehr pragmatisch bis sehr mystisch“. Von „Fliehe die Frau“ bis „Werde ganz Auge“ sei alles dabei.
Immer wieder, wenn es Aufbrüche in der Kirche gab, wurden die Sprüche herangezogen, selbst von dem in Sachsen geborenen Pietisten Gottfried Arnold, sagt Reitzner. Ihn selbst fasziniert die Entschlossenheit der Mönche und ihr absoluter Fokus auf Gott. „In unserer Zeit voller Ablenkung sind sie ein echtes Vorbild.“
Die Abgeschiedenheit der Wüstenmönche fand ein Ende, als im siebten Jahrhundert Beduinenstämme das Antoniuskloster überfielen. Damals vermauerte man sogar das Eingangstor und nutzte eine Seilwinde, um gutwilligen Besuchern über die Mauer zu helfen. Wie mit einem Aufzug. Pater David erzählt die Geschichten aus dieser Zeit gerne: „Anfeindungen machen unsere Kirche nur stärker.“
Aber natürlich hinterließ die muslimische Herrschaft auch im religiösen Leben der Kopten ihre Spuren. Etwa bei der Sprache: Nachdem Arabisch zur Amtssprache erklärt wurde, trat das Koptische immer mehr zurück. Heute wird es nur noch als Liturgiesprache verwendet - von Mönchen und Priestern.
Zu ihnen gehört auch Vater Johannes Ghali von der Koptisch-Orthodoxen Kirche Baden-Württemberg. Er wuchs in Kairo auf und lernte Koptisch im Muharraq-Kloster, nahe der Stadt Asyut am Nil. Am Sonntag hält er Gottesdienste in Stuttgart, am Samstag in wechselnden Städten der Region. „Unsere Gemeinde wächst stark“, sagt der 60-Jährige. In den vergangenen Jahren seien viele Informatiker und Ärzte aus Ägypten nach Deutschland gekommen.
Seine Kirche ist mittlerweile mit Bildschirmen ausgestattet, auf denen die Liturgie in Koptisch, Arabisch und Deutsch zu sehen ist. „So können auch die deutschen Besucher folgen“, sagt Ghali. Er ist sicher, dass die Kopten auch im Ausland ihre Tradition bewahren werden. Seit 2012 gebe es sogar eine Hochschule für koptische Theologie in Wien.
In Deutschland gibt es zwei Bischofssitze: Im nordrhein-westfälischen Höxter-Brenkhausen hat der Bischof der Diözese für Norddeutschland, Anba Damian, seinen Dienstsitz. Für Süddeutschland ist das Kloster St. Antonius im hessischen Kröffelbach zuständig.
Auch in Ägypten ist die koptisch-orthodoxe Kirche eine sehr lebendige: Die Kirchen sind voll. Dies liegt laut der baden-württembergischen Orientalistin Heidi Josua (Weissach im Tal) vor allem daran, dass der Diakon Habib Girgis im Jahr 1898 die Sonntagsschulbewegung gründete. Diese belebte eine sterbende Kirche durch Kinder-und Jugendarbeit und christliche Bildung.
Der jetzige koptische Papst Tawadros II., der selbst in der Jugendarbeit aktiv war, habe ebenso wie seine Vorgänger Wert darauf gelegt, dass seine Kirche durch viele Angebote für junge Menschen auch unter der Woche attraktiv ist. „Für viele Jugendliche ist die Kirchengemeinde ihr zweites Zuhause und hat eine wichtige Stellung in ihrem Alltagsleben“, so Josua.
Die Klöster sind offen für junge Menschen und Familien, die an den Wochenenden in den dortigen Gästehäusern unterkommen können. Sie tun es dem heiligen Antonius gleich, entfliehen dem Lärm der Kairoer Großstadt und wollen in der Stille der Wüste Gott näher kommen.