Ein Jahr nach dem Rücktritt von Annette Kurschus ist am Dienstag in Würzburg die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs zur Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gewählt worden. Die 63-jährige Theologin erhielt 97 von 130 Stimmen, es gab 14 Gegenstimmen und 19 Enthaltungen. Gewählt wurde sie von den Mitgliedern der EKD-Synode sowie den Delegierten der 20 evangelischen Landeskirchen in Deutschland, die in der sogenannten Kirchenkonferenz organisiert sind.
Fehrs sagte nach ihrer Wahl, sie wolle sich weiter für die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt einsetzen. Maßnahmen, die sich aus der Studie zum Ausmaß von Missbrauch in der evangelischen Kirche ergeben, müssten „einheitlich, konsequent und zugleich empathisch“ umgesetzt werden. Mit Blick auf den Mitgliederverlust der Kirche und notwendige Reformen sagte sie: „Die nächsten Jahre werden uns viel abverlangen.“ Sie wolle mit Mut und Zuversicht an Entscheidungen herangehen.
Die norddeutsche Theologin hatte das Amt als oberste Repräsentantin der rund 18,6 Millionen deutschen Protestanten vor einem Jahr bereits kommissarisch übernommen. Ihre Vorgängerin Kurschus war am 20. November 2023 im Zusammenhang mit einem Missbrauchsverdacht gegen einen ehemaligen Kirchenmitarbeiter an ihrem früheren Arbeitsort Siegen von ihren Leitungsämtern als EKD-Ratsvorsitzende und als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen zurückgetreten. Kurschus wurde vorgeworfen, sie sei mit dem Verdachtsfall nicht ausreichend transparent umgegangen.
Fehrs wurde für drei Jahre bis 2027 gewählt. Dann endet die Amtszeit des 15 Mitglieder zählenden Rates der EKD, des einer Regierung ähnlichen Leitungsgremiums neben Synode und Kirchenkonferenz. Seit 2011 ist Fehrs Bischöfin in Hamburg, ihr Sprengel Hamburg und Lübeck gehört zur evangelischen Nordkirche. Dem Rat der EKD gehört sie seit 2015 an. Im Jahr 2021 wurde sie zur Stellvertreterin von Kurschus gewählt. Nach deren Amtsverzicht rückte Fehrs zunächst kommissarisch an die EKD-Spitze, seit Dienstag ist sie nun offiziell Ratsvorsitzende.
Am Montag hatte eine unabhängige Anwältin des Publikums den Synodalen in Würzburg Anliegen von Betroffenen sexualisierter Gewalt in der Kirche vorgetragen und dabei auch Vorwürfe gegen die Nordkirche und gegen Fehrs angesprochen. Eine Betroffene aus der Nordkirche wirft der Theologin im Zusammenhang mit der Aufarbeitung ihres Missbrauchsfalls Befangenheit vor.
Hintergrund ist eine von der Betroffenen als „freundschaftlich“ bezeichnete Verbindung zwischen Fehrs und einem ehemaligen Pastor einer Hamburger Gemeinde, der von dem Missbrauchsfall in den 1980er Jahren gewusst haben soll. Fehrs leitete die Unterstützungsleistungskommission (ULK) der Nordkirche, die sich mit Fällen von Missbrauch und deren Aufarbeitung befasste. Die Nordkirche und die EKD weisen den Vorwurf der Befangenheit zurück, lassen den Fall jedoch inzwischen extern untersuchen. Die Nordkirche wollte aus rechtlichen Gründen keine näheren Angaben machen. Sie erklärte aber, es sei unstrittig, dass der Betroffenen Anerkennungsleistungen zustehen.
Ratsmitglied Andreas Barner sagte kurz vor der Wahl von Fehrs, der Rat habe sich die Einschätzung der EKD-Fachstelle Sexualisierte Gewalt zu eigen gemacht, wonach es keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten von Fehrs gebe. Ihn habe „immer wieder ganz besonders beeindruckt“, wie sich Fehrs in den vergangenen Jahren bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in evangelischer Kirche und Diakonie engagiert habe.
Auf den Fall ging Fehrs in ihrem Statement nach der Wahl direkt nicht ein. Sie sagte nur, sie habe in der jahrelangen Beschäftigung mit dem Thema gelernt, „in ordentlichen Verfahren zu arbeiten“ und „nicht jeden Vorwurf persönlich zu nehmen“.