"Hier ist nichts vom Himmel gefallen"
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Von deutschen Kriegsgefangenen geschnitzte Madonna aus Holz
Volksbund arbeitet Geschichte von provisorischem Gefangenenlager auf
Bretzenheim, Bad Kreuznach (epd).

Auf dem Acker mit rötlicher Erde nördlich von Bad Kreuznach, über den 80 Jahre später die Störche friedlich staksen, endete im Frühjahr 1945 für mehr als 100.000 erschöpfte Männer der Zweite Weltkrieg. Damals entstand hier eines der sogenannten Rheinwiesenlager, in denen die vorrückenden Amerikaner gefangene deutsche Soldaten unter offenem Himmel hinter Stacheldraht sperrten. Wegen der unmenschlichen Zustände bekam das Lager in der Nähe des Dorfes Bretzenheim im Volksmund den Namen „Feld des Jammers“. Seit einigen Jahren kümmert sich der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge um die Gedenkstätte und ein kleines Dokumentationszentrum - auch, um der Instrumentalisierung durch rechtsextreme Kräfte entgegenzuwirken.

Da die Amerikaner mit der riesigen Anzahl an Gefangenen völlig überfordert waren, gab es für diese in den Anfangsmonaten kaum Verpflegung. Anstelle von Zelten konnten die Männer sich bestenfalls in primitiven Erdhöhlen vor Kälte und Regen schützen. „Als wir in das Lager kamen, gab es noch Rebstöcke, die uns als Brennholz dienten“, heißt es in einem Bericht von August Katz, der Jahrzehnte später seine Erinnerungen notierte, „und es gab noch Gras, das wir kochten und in kleinen Mengen aßen, vor allem um das Krampfgefühl im Magen zu beruhigen.“ Einige hätten zu viel davon verzehrt und morgens mit aufgeblähtem Bauch tot in ihren Erdlöchern gelegen.

„Ungefähr sechs Wochen lang war das eine totale Katastrophe“, sagt Volksbund-Geschäftsführer Carsten Baus über die Zustände in Bretzenheim. Wie viele Menschen umkamen, ist nicht abschließend geklärt. Schätzungen gehen von bis zu 4.500 Opfern aus. Die Berichte der Überlebenden und die unvollständige Aufarbeitung der Geschehnisse machten Orte wie das „Feld des Jammers“ in der Vergangenheit zu einem beliebten Ziel für Heldengedenkfeiern rechter Kräfte. Immer wieder dienten die Rheinwiesenlager und ihre Opfer auch dazu, die deutschen Kriegsverbrechen zu relativieren.

Dass der Volksbund sich inzwischen intensiv um die Geschichte der Lager kümmert, helfe auch, Mythen zu entkräften, sagt Baus - etwa die ursprünglich durch den kanadischen Autor James Bacque verbreitete These, nach 1945 hätten die Amerikaner wohl über eine Million deutscher Gefangener verhungern lassen. Seine Zahlen gelten längst als wissenschaftlich widerlegt. „Wenn hier noch massenhaft Tote liegen würden, hätte man sie gefunden“, versichert der Volksbund-Geschäftsführer. Rund um Bretzenheim seien Straßen, Wohngebiete und Versorgungsleitungen gebaut worden. Unbekannte Massengräber seien dabei nie entdeckt worden.

Wer die Zustände in Bretzenheim richtig einschätzen wolle, müsse sich die Situation im Frühjahr 1945 vor Augen führen. „Hier ist nichts vom Himmel gefallen“, mahnt Baus. Die Amerikaner hätten ihre noch kämpfenden Truppen und die Zivilbevölkerung der befreiten Regionen versorgen müssen sowie eine fünfstellige Zahl von befreiten KZ-Häftlingen, ausländischen Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen aus den Ländern der Anti-Hitler-Allianz, die sich „durchgehend in einem erschütternden Zustand“ befunden hätten: „Entwaffnete feindliche Kräfte standen da nicht auf Platz Eins der Rangliste.“

Für die Insassen der Rheinwiesenlager änderte sich vieles zum Besseren, als das französische Militär im Sommer 1945 das Kommando übernahm und Baracken auf dem Feld entstanden. Bretzenheim blieb bis 1948 das wichtigste Durchgangslager für deutsche Gefangene, die zum Arbeitsdienst nach Frankreich geschickt wurden. Zum einjährigen Bestehen druckten die Franzosen eine Broschüre, die ein neues Bild vom „Feld des Jammers“ zeichnete: Zu diesem Zeitpunkt gab es eine Kirche, ein Schwimmbad, ein Lagertheater und auch ein Anwerbebüro der Fremdenlegion. Die war für ihren Kolonialkrieg in Indochina an deutschen Veteranen interessiert.

Karsten Packeiser (epd)