Kreuze, Putten und gefaltete Hände
Der Hauptfriedhof in Karlsruhe.
Der Hauptfriedhof in Karlsruhe.
Ein Spaziergang durch 150 Jahre protestantische Kirchengeschichte
Karlsruhe/Bad Säckingen

«Umringt von Fall und Wandel» überschreibt der Kirchenhistoriker Hans-Georg Ulrichs sein Buch zum «Spaziergang durch den badischen Protestantismus des 19. und 20. Jahrhunderts auf dem Hauptfriedhof Karlsruhe». Für Interessierte bietet er auch Führungen dazu an. «Auf dem Friedhof begegnet man zu Ende gegangenen Lebensgeschichten», sagte der Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Bad Säckingen dem Evangelischen Pressedienst (epd).

Der Ort konfrontiere mit Fragen nach Anfang und Ende des Lebens. «Vor wichtigen Lebensfragen kann man nicht weglaufen. Beim Spaziergang kann man darüber nachdenken, was einen trägt in diesem Leben», beschreibt der Theologe die spirituelle Seite des Friedhofes.

Der Hauptfriedhof Karlsruhe als erster kommunaler Parkfriedhof Deutschlands (1874) lädt ein zu einem Spaziergang durch Alleen, vorbei an Gräbern und Gedenkstätten, Baumgruppen und Rasenfeldern. Das Auge auf Gräber von Persönlichkeiten gerichtet, die der evangelischen Kirche verbunden waren, ergibt sich ein lehrreiches und unterhaltsames Bild des badischen Protestantismus.

Ulrichs spürte 30 Lebensgeschichten von Kirchenleitern nach. Darunter sind Pfarrerinnen und Pfarrer, Kirchenpräsidenten und Missionare. Auch Schriftstellern, Künstlern, Juristen, Politikern, Diakonissen oder Architekten widmet sich der Kirchenhistoriker. Die zufällige Auswahl zeige ein «bunteres Bild als aus den Akten des Oberkirchenrates», sagte er. Namen wie der des christlichen Politikers Traugott Bender, des Bildhauers und Malers Klaus Arnold oder des Juristen und Oberkirchenratspräsidenten Eduard Uibel tauchen auf.

Manche Persönlichkeiten habe er für sich selbst erst während der Arbeit an dem Buch entdeckt, berichtet Ulrichs. Die Recherche der Lebensgeschichten sei «bewegend» gewesen, betonte der Theologe. Im historischen Setting habe er einige Personen wie etwa Traugott Bender, der zu Lebzeiten von politischen Gegnern angefeindet wurde, liebevoller darstellen können. «Mit dem zeitlichen Abstand war mehr Respekt für die Lebensleistung möglich als für einen Zeitgenossen», resümierte er. Die meisten der beschriebenen Gräber stammen aus dem 20. Jahrhundert.

Ältere Gräber sind zum Teil aufgelöst, oder es sind nur noch die Grabzeichen erhalten. Die Nutzung ging in diesem Fall an neue Grabpaten über. «Wir haben sehr viele Grabzeichen, die wir für wertvoll erachten und die nach der Auflösung des Grabes zu erwerben sind», erklärt Simone Maria Dietz vom Infocenter des Karlsruher Hauptfriedhofes. Ergänzend zu den historischen Essays von Ulrichs hat die Kunsthistorikerin zu jedem vorgestellten Grab eine kleine Abhandlung zu den Grabzeichen verfasst.

Die kunstgeschichtliche Perspektive bringt, neben den Fotografien von Klaus Eppele, eine weitere Facette ein. «Wir wollten die Wertigkeit der Grabzeichen sichtbar machen», sagte Dietz. Sie spiegeln den Wandel der Gesellschaft. Christliche Grabzeichen wie das Kreuz, Putten oder die gefalteten Hände von Albrecht Dürer (1471-1528) brachten die Religiosität der Verstorbenen zum Ausdruck. Um die Jahrhundertwende tauchten mehr Obelisken auf. Sie sollten Stabilität vermitteln in unruhiger Zeit, frei nach Martin Luthers «fester Burg», weiß die Kunsthistorikerin.

Abgelöst wurden sie zunehmend von individuellen Grabzeichen, die etwa den Beruf oder das Hobby des Verstorbenen thematisieren. Eine «Spannung zwischen Kirche, Glaube und Beruf» zeige beispielsweise, so Dietz, der historische Aschekrug auf dem Grabmal der zum Protestantismus konvertierten jüdischen Familie des Architekten Robert Curiel (1859-1925).

Der Spaziergang durch den badischen Protestantismus im 19. und 20. Jahrhundert erzählt 150 Jahre badische Kirchengeschichte. «Für die Leitung der Evangelischen Kirche in Baden ist es gut zu wissen, warum sie geworden ist, wie sie ist», sagt Ulrichs und zieht das Fazit: «Der Protestantismus in Baden ist gekennzeichnet von praktizierter Liberalität und Vielfalt.»

Von Susanne Lohse (epd)