
Nach dem Bundestag hat am 14. Februar auch der Bundesrat dem Gewalthilfegesetz zugestimmt. Es sieht ab 2032 für gewaltbetroffene Frauen und ihre Kinder einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe vor. Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha (Grüne) begrüßte das Gesetz und betonte, Gewalt gegen Frauen sei ein gesamtgesellschaftliches und kein individuelles Problem.
Was in der öffentlichen Diskussion um partnerschaftliche Gewalt leicht vergessen wird: Auch Männer werden Opfer von Gewalt in Ehe und Partnerschaft. Wie eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (2023) belegt, erlitt jeder zweite Mann (54,1 Prozent) im Laufe seines Lebens partnerschaftliche Gewalt.
Rund 39 Prozent berichten von psychischer Gewalt, 29 Prozent von körperlicher. Männer sind somit nicht nur Täter, sondern auch Opfer. Darauf weist der Psychotherapeut Christian Roesler von der Katholischen Universität Freiburg hin. In seinem Buch «Partnerschaftsgewalt und Geschlecht» (Nomos Verlag, Baden-Baden 2024) wertet der Wissenschaftler aktuelle deutsche und internationale Studien dazu aus.
«Alle diese Studien zeigen, dass Gewalt in intimen Beziehungen nichts mit dem Geschlecht zu tun hat», sagte Roesler dem Evangelischen Pressedienst (epd). Die eigenen Bedürfnisse oder Interessen auch mit Gewalt umzusetzen, betreffe in gleichem Maße Männer wie Frauen. Gründe könnten eigene Gewalterfahrungen in der Kindheit oder psychische Erkrankungen sein, erklärte der Psychologe.
Bei jedem vierten Paar handle es sich um «situative gegenseitige Gewalt», führte der Autor aus. «Massive Emotionen, die nicht mehr unter Kontrolle zu halten sind, eskalieren vor allem, wenn ein Partner mit Trennung droht», sagte er. Die Gewalt gegen den Partner fange subtil an, mit Abwertung, Erpressung bis hin zu körperlichen Verletzungen und Schlägen.
Gerade weil die Affekte in intimen Beziehungen so stark seien, könnten sie umschlagen in Hass und Gewalt, weiß Roesler. Frauen stehen Männern in der Heftigkeit der Verletzungen den Studien zufolge in nichts nach. Im Gegenteil: «Die Verletzungen, die von Frauen zugefügt werden, sind schwerer, denn Frauen versuchen ihre körperliche Unterlegenheit mit Waffen auszugleichen, einer Flasche, einem Stuhlbein», stellte der Professor für Klinische Psychologie und Arbeit mit Familien fest.
In einer älter werdenden Gesellschaft nimmt gerade auch Gewalt gegenüber älteren, pflegebedürftigen Menschen zu. Betroffen auch hier: Männer. Ein Drittel aller häuslich pflegenden Personen sind laut dem Vorsitzenden des Landesseniorenrates Baden-Württemberg, Eckart Hammer, männlichen Geschlechts, unter den über 80-Jährigen überwiege sogar der Männeranteil in der Pflege.
Das Spektrum gewaltsamer Handlungen reicht hier vom Vorenthalten von Fürsorge, Medikamenten, Essen oder Trinken bis hin zu «hartem Anfassen». «Auch Lügen gehört dazu», betonte der Sozialwissenschaftler. «Gewalt in der Pflege geht oft mit einer totalen Überforderung und Einengungssituation einher», sagte Hammer. Dann kann Liebe in Hass umschlagen.
«Oft wird eine lebenslange Bilanz in Form psychischer Gewalt abgearbeitet», weiß er. Zur Sprache oder gar zur Anzeige kommen gewaltsame Handlungen an Männern selten. Zu groß ist die Scham, die Angst vor Trennungen, weiteren Gewaltattacken oder - wenn Kinder da sind - sorgerechtlichen Konsequenzen.
Entsprechend groß ist die Dunkelziffer. «Auch in besten Partnerschaften ist die Pflegesituation allein ohne fremde Hilfe gefährlich», betont er. Pflege sollte, so Hammer, auf möglichst «viele Schultern» verteilt werden, «damit andere sehen, was passiert.»
Hilfe brauchen in der Regel beide: Täter und Opfer. Eine wirksame Hilfe für Paare könnte Paartherapie sein, betont Roesler. «Es hat sich gezeigt, dass andere Interventionen wie Platzverweise oder Frauenhäuser, die auf Separierung angelegt sind, ineffektiv sind», sagte der Buchautor. Vom Bundesfamilienministerium fordert er einen «unvoreingenommenen Blick auf die Faktenlage», mehr männliche Mitarbeiter in Beratungsstellen, den Ausbau von Männerschutzwohnungen sowie die staatliche Förderung von Paartherapie.
Unterstützung finden Männer in Not über das «Männerhilfetelefon» und den «Weißen Ring».