Als man hier heimlich am Atom forschte
Rolf Schlenker
Der Journalist und Autor Rolf Schlenker.
Schicksalhaftes und Skurriles aus dem Musterländle
Tübingen (epd)

Wer wusste, dass sich während des Zweiten Weltkrieges deutsche Atomforscher im idyllischen Haigerloch auf der Schwäbischen Alb in einem Stollen unter dem Schloss und der Kirche einrichteten? Nachdem deren Institut in Berlin 1944 durch Bombenangriffe zerstört worden war, packten sie den Forschungsreaktor und die Laboreinrichtung in mit Holzwolle gepolsterte Kisten und schafften diese über eisglatte Straßen in den Süden. Diese Geschichte und andere interessante Informationen erfährt man in dem Buch «Als man hier heimlich am Atom forschte. Schicksalhafte Ereignisse und bewegende Geschichten», das im Tübinger Silberburg Verlag erschienen ist.

Der Journalist Rolf Schlenker schildert darin, wie die Amerikaner am 23. April 1945 mit den Waffen im Anschlag in den «Atomkeller» in Haigerloch eintraten und nicht schlecht staunten: Statt der erwarteten Hightech-Anlage betraten sie eine bessere Tüftlergarage. Es zeigte sich schnell, dass die deutschen Forscher noch meilenweit von einer Bombe entfernt gewesen waren.

Dass Menschen im Südwesten protestfreudig sind, zeigte sich bereits beim Bauernkrieg, bei dem die erste Erhebung am 23. Juni 1524 im Wutachtal bei Stühlingen stattfand. Und das Atomkraftwerk Wyhl am Kaiserstuhl im Landkreis Emmendingen war das einzige AKW Deutschlands, das ungebaut blieb, weil es die Menschen vor Ort nicht wollten, wie der Leser erfährt.

Schlenker berichtet auch über den erfolgreichen Widerstand gegen die Daimler-Benz-Teststrecke bei Boxberg im Main-Tauber-Kreis, bei dem Bundschuh-Aktivisten den Weltkonzern in den 1980er-Jahren herausforderten. Und über die aktive Bevölkerung in Schwäbisch Gmünd, die dafür sorgte, dass nach einer Volksabstimmung 2011 das örtliche Schwimmbad in «Bud Spencer Bad» umgetauft wurde.

Auch ein Stück Kriminalgeschichte wurde im Südwesten geschrieben, als «Monsieur X» die Deutsche Bahn erpresste, indem er drohte, Züge entgleisen zu lassen. Dass er dazu auch bereit war, zeigte er bei insgesamt 13 Anschlägen von 1975 bis 1977 entlang der Rheintalstrecke zwischen Bruchsal und Freiburg, bei denen zum Glück niemand umkam. Dort entfernte er Schienenbefestigungsschrauben und löste Stromleitungen oder hängte Stahlbügel an Oberleitungen, sodass sich die Stromabnehmer der Loks verhakten und Leitungen auf mehreren hundert Metern herunterrissen. Wahrscheinlich wollte Monsieur X, ein Freiburger Aquarienhändler, von der Bahn Geld erpressen, um ein finanzielles Backup zu haben für ein Roulette-Spiel...

Auch mit dem Blick auf die Literatur liefert Schlenker interessante Einblicke: Denn dass Oberkirch-Gaisbach (Ortenaukreis) ein «Hotspot der deutschen Literatur ist», wie es der Autor nennt, ist wohl auch kaum jemanden bekannt: Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen (1622-1676) schrieb den Roman «Simplicissimus». Bei dem Bestseller wurde kein Blatt vor den Mund genommen: Trotz seiner wilden Romane mit Action, Crime und Pikanterie war es dem Autor möglich, am Ende seines Lebens einen so ehrbaren Beruf wie das Bürgermeisteramt von Renchen zu bekleiden.

Der Gasthof «Adler» in Großholzleute im württembergischen Allgäu war es, der einen Literaturnobelpreisträger hervorbrachte: 1958 hatte Günter Grass dort seinen Durchbruch, als er der «Gruppe 47», einer Gruppe von Schriftstellern, Fragmente seiner «Blechtrommel» vorstellte. Durch die Veranstaltung im «Adler» wurde er zum Weltstar, der 1999 den Literatur-Nobelpreis entgegennehmen durfte.

Ob Baden-Württemberg also eher «Musterländle» oder «Wilder Süden» ist - das muss jeder nach dem Lesen des Buches selbst entscheiden.

 

Von Judith Kubitscheck (epd)