
Es ist eine Auszeichnung, die nicht jeder Chor erhält. Der Bachchor Karlsruhe ist angefragt, anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Open-Air-Musikfestivals «Das Fest» im Juli in Karlsruhe Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie zu singen. Bereits am 30. März erklingt die «Ode an die Freude» in der evangelischen Stadtkirche beim Frühjahrskonzert des Chores, mit dem er sein 120-jähriges Bestehen feiert.
Einiges hat sich in seiner Struktur verändert, seit der Bachchor Karlsruhe 1905 als Verein vom damaligen Hofkirchenmusikdirektor Max Brauer gegründet wurde. «Anfang des 20. Jahrhunderts gab es eine große Singbewegung, im ganzen Land wurden in allen größeren Städten Bachchöre gegründet», sagte der künstlerische Leiter, Christian-Martin Raiser, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Nicht nur in der Geburtsstadt Johann Sebastian Bachs (1685-1750), Leipzig, auch in Baden entstanden Bachchöre - etwa in Mannheim, Heidelberg oder Konstanz.
Während der Nazi-Diktatur stand der Verein unter Druck und sollte - wie Chöre in dieser Zeit generell - der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts dienen. Dem damaligen Kantor, Wilhelm Rumpf, gelang es, den Chor davor zu bewahren, indem er ihn - nunmehr als Bachchor - unter dem Dach der Evangelischen Landeskirche in Baden ansiedelte. Somit war die Programmgestaltung dem Zugriff der Nazis entzogen, der Chor überlebte.
«Bachchöre waren meist große Oratorienchöre», erläutert Raiser. Zwei- bis dreimal im Jahr bringt der rund 100 Sängerinnen und Sänger zählende Chor oratorische Werke zur Aufführung. Daneben gestaltet er in der Evangelischen Stadtkirche Karlsruhe Gottesdienste mit. Zum Repertoire des Bachchors Karlsruhe gehören seit 1996 zudem a-Capella-Stücke und moderne Chorliteratur. Der Chor sei mit den Jahren an seinen Aufgaben gewachsen, sagt der Kirchenmusikdirektor, er habe anerkanntermaßen ein gutes Niveau erreicht. «Wir spielen nicht nur Kassenschlager», hebt er etwa die Aufführung der «Requiem-Strophen» zum 70. Geburtstag des Karlsruher Komponisten Wolfgang Rihm (1952-2024) im Jahr 2022 hervor.
«Die Erarbeitung der Stücke macht Spaß», berichtet Annette Laux. Die Sopranistin ist seit 2003 dabei und schätzt die Gemeinschaft im Chor. Tilman Zahn, der den tiefen Bass singt, pflichtet ihr bei: «Ich habe mich sofort wohlgefühlt, als ich vor 17 Jahren das erste Mal zur Probe kam», erinnert er sich. Besonders die Konzertreisen seien ein intensives Erlebnis. «Man singt an unterschiedlichen Orten und hat vier bis fünf Aufführungen. Nach dem Konzert ist man total erfüllt», so der Sänger. «Bei den bekannten Stücken kommt der Spaßfaktor früh. Bei seltenen, schweren Stücken ist man nach der Aufführung umso stolzer, dass man es geschafft hat», beschreibt der langjährige Leiter Raiser den Prozess.
Er erinnert sich noch gut an die erste Konzertreise mit dem Bachchor, die nach Leipzig in die Thomaskirche führte. «Die Vorstellung, dass der alte Bach hier stand und seine Thomaner dirigierte, war schon ein besonderes Gefühl.» «Über Bach steht nichts drüber», klassifiziert er die Musik des bekannten Komponisten. Der Bachchor Karlsruhe sei auch andernorts bekannt, betont der Dirigent und nennt zeitweilige Kooperationen wie mit dem Bachchor Mannheim bei der Aufführung des Oratoriums «Das Buch mit sieben Siegeln» des österreichischen Komponisten Franz Schmidt.
Offen zeigt sich der Bachchor Karlsruhe auch für Kooperationen mit dem Badischen Staatstheater Karlsruhe. Anlässlich des 75-jährigen Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am 28. Januar 2020 trat der Chor im Badischen Staatstheater mit der europäischen Erstaufführung der Kantate des deutsch-jüdischen Komponisten Richard Fuchs (1887-1947) «Vom jüdischen Schicksal» auf.
Eine Verbindung zur gesellschaftlichen Stimmungslage stellt beim Jubiläumskonzert am 30. März das zweite Stück neben der 9. Sinfonie von Ludwig van Beethoven her: Die Kantate von Ralph Vaughan Williams «Dona nobis pacem» (deutsch: Gib uns Frieden) entstand 1936 zwischen beiden Weltkriegen. Denn, so Raiser: «Die Mahnung an den Frieden entspricht einem Wunsch, der über aktuellen politischen Geschehnissen weltweit steht.»