In der Biberacher Stadtpfarrkirche St. Martin feiern protestantische und katholische Christen in einem Raum ihre Gottesdienste. Diese doppelte Nutzung in Form eines «Simultaneums» ist nach Auffassung des Biberacher evangelischen Dekans Matthias Krack nicht nur ein gelungenes Beispiel für die praktische Ökumene in einer Stadt, sondern könnte auch Zukunftsmodell für die gesamte Kirche vor dem Hintergrund schwindender Zahlen bei Mitgliedern und Finanzen sein. Denn seit fast 500 Jahren teilen sich die evangelische und die katholische Gemeinde die große Kirche direkt am Marktplatz.
Das ging durch die Jahrhunderte zwar nicht immer schiedlich und friedlich, doch die Konfessionen hätten sich «immer wieder zusammengerauft und das Miteinander nie aufgekündigt», wie Dekan Krack erläutert. Das liege nicht zuletzt auch daran, dass die Biberacher Stadtgesellschaft ein wachsames Auge auf «ihre Kirche» hat und ihr die gute Zusammenarbeit der beiden Stadtpfarrer ein hohes Anliegen sei.
Eine enge Zusammenarbeit zwischen Kirchengemeinden und der Stadtverwaltung liegt auch dem Biberacher Oberbürgermeister Norbert Zeidler (CDU) sehr am Herzen. Denn die Stadtpfarrkirche sei «nicht nur ein architektonisches Juwel, sondern auch ein lebendiges Symbol für Offenheit, gegenseitigen Respekt und Zusammenhalt in Biberach».
Die dreischiffige Basilika war seit der Reformation eine evangelische Kirche, bis ab 1548 das «Augsburger Interim» die Verhältnisse zwischen den Konfessionen regelte und wieder katholische Gottesdienste in der Stadtpfarrkirche möglich machte. Damit ist St. Martin eine der größten und ältesten Simultankirchen Deutschlands.
Die doppelte Nutzung der Kirche klappt heute nahezu reibungslos, wie Dekan Krack hervorhebt. Dafür sorge eine von allen anerkannte «Nutzungsordnung», in der beispielsweise festgelegt ist, dass der evangelische Gottesdienst jeden Sonntag um 9.30 Uhr stattfindet, der katholische um 11 Uhr. Diese von allen akzeptierte Ordnung sorge dafür, so der katholische Biberacher Dekan Stefan Ruf, dass es auch an Weihnachten mit einer Fülle an Gottesdiensten keine Konflikte zwischen den Konfessionen gebe, auch für hervorgehobene Ereignisse in den jeweiligen Kirchen wie Konfirmation oder Kommunion könnten in Absprachen immer gute Lösungen gefunden werden. Der evangelische Dekan Krack weist darauf hin, dass an jedem vierten Sonntag im Monat der Gottesdienst um 11 Uhr gemeinsam ökumenisch gefeiert werde, was beide Gemeinden sehr schätzten.
Eine wesentliche Grundlage für das problemlose Miteinander von evangelischer, katholischer Gemeinde und der Kommune ist eine weitere Biberacher Besonderheit - die «Stiftung Gemeinschaftliche Kirchenpflege». Diese Stiftung, die bereits Ende des 12. Jahrhunderts begründet wurde und damit als älteste Stiftung in Deutschland gilt, ist als Besitzerin der Kirche für den Unterhalt des Baus zuständig.
Dem Prinzip des Simultaneums entsprechend wird auch diese Stiftung paritätisch geführt, im Vorstand sitzt der Biberacher Oberbürgermeister und jeweils ein Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche. Durch eine neue Satzung wurde laut Oberbürgermeister Zeidler «der Erhalt und die Fortführung der gemeinsamen gemeinschaftlichen Stiftung sichergestellt».
Für den Unterhalt der mächtigen Kirche müssen die beiden Gemeinden alleine aufkommen, allerdings unterstützt durch Zuschüsse der Kommune, die etwa für die Generalsanierung eine Million Euro beisteuerte. Eine eigene Bauhütte sorgt auch mit viel ehrenamtlichem Engagement dafür, dass die Kirche für die kommenden Generationen erhalten bleibt.
Neben der Biberacher Stadtpfarrkirche gibt es in Deutschland noch 64 Simultankirchen, die meisten davon in Rheinland-Pfalz (22) und Bayern (19), in Baden-Württemberg wird noch die Kirche in Rohrdorf im Schwarzwald simultan genützt, in der badischen Landeskirche die Gotteshäuser in Mosbach und Schutterzell. Im Gegensatz zu dem heutigen guten ökumenischen Miteinander in der Biberacher Stadtpfarrkirche kam es in anderen Simultankirchen immer wieder zu Streitigkeiten und Reibereien. In einer oberpfälzer Kirche haben Geistliche sogar den Taufstein verriegelt, damit er von der anderen Konfession nicht genutzt werden konnte.