Auf leisen Pfoten
Die Wildkatze kehrt in die deutschen Wälder zurück
Frankfurt a. M. (epd).

Viele Jahrzehnte lang galten sie in Deutschland als ausgestorben: die scheuen Wildkatzen, die eine eigene Tierart bilden und keine verwilderten Hauskatzen sind. Doch langsam kommen die nachtaktiven Tiere mit dem ocker-braun getigerten Fell in die Wälder zurück. „Wir schätzen den Bestand auf 6.000 bis 8.000 Tiere bundesweit, wahrscheinlich mehr“, sagt Thomas Mölich, wissenschaftlicher Leiter des Projekts „Rettungsnetz für die Wildkatze“ beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). In diesen Wochen ist Paarungszeit.

Mit „grünen Korridoren“ aus Bäumen und Büschen wollen Naturschützer in elf Bundesländern den Tieren helfen, wieder wie einst von Wald zu Wald zu streifen. 2004 hatte der BUND das Projekt mit Unterstützung der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt ins Leben gerufen. Und im Vorhaben „Wildkatzenwälder von morgen“ sollen in zehn Bundesländern außerdem Waldränder, Wälder und Offenlandbereiche nahe Wäldern so aufgewertet werden, dass die Ausbreitung von Wildkatzen gefördert wird, wie das Bundesamt für Naturschutz erklärt.

Eine neue Erfolgsmeldung kommt aus Mecklenburg-Vorpommern. Dort ging man seit 1812 davon aus, dass es keine Wildkatzen mehr gibt. Jetzt verdichten sich Hinweise auf ein Vorkommen der Tierart im Müritz-Nationalpark. Nach diversen Sichtungen und einem genetischen Nachweis ist eine Bestandsaufnahme geplant, in der Fachsprache „Monitoring“ genannt.

Es ist nicht leicht, den genauen Bestand der unzähmbaren Wildkatze abzuschätzen, die in unaufgeräumten, naturnahen Laub- und Mischwäldern mit alten Bäumen und Totholz zu Hause ist. In den Boden gerammte Holzstöcke, die mit Baldrian präpariert sind, sollen die Tiere anlocken. Wenn sie sich lustvoll daran reiben, bleiben Haare am Lockstock hängen. So lässt sich ein ungefähres Vorkommen nachweisen.

Seit dem 17. Jahrhundert wurden Wildkatzen gnadenlos gejagt. Sie waren als „Raubzeug“ verschrien, auf ihren Balg war eine Prämie ausgesetzt. Was ist dran, jagen sie denn beispielsweise auch Vögel, die am Boden brüten? „Nein“, sagt Mölich, „denn die brüten ja nicht im Wald oder am Waldrand, sondern auf der Wiese. Wildkatzen sind hoch spezialisiert: auf Wühl- und auf Langschwanzmäuse. Vögel spielen als Beute nur eine geringe Rolle.“

Kleine Restpopulationen der Wildkatze haben offenbar trotz Jagd und Räude-Epidemien, Zersiedelung und Forstwirtschaft überlebt: etwa im Pfälzer Wald, im Hunsrück, im Taunus. Ein weiteres Hauptverbreitungsgebiet umfasst heute den Harz, den Solling, Waldgebiete in Nordthüringen und Hainich. Mehr als 2.600 Freiwillige des BUND haben diese Lebensräume mit 33 grünen Korridoren aus heimischen Bäumen und Sträuchern vernetzt. Denn Wildkatzen wechseln nicht gern ohne Deckung von einem Wald in den anderen.

So einen Korridor hat der BUND 2009 auch zwischen dem Thüringer Wald und dem Hainich gepflanzt. „Etwa 20 Hektar Waldfläche“, schätzt Mölich. „Seit 2012 sind die Wildkatzen hier unterwegs“, erzählt er, „das Projekt ist eine Erfolgsgeschichte.“ Es werde jetzt vom Bundesamt für Naturschutz und von den Bundesländern gefördert, in Thüringen etwa vom Umweltministerium. Und in Eberbach im Rhein-Neckar-Kreis haben Ehrenamtliche dieses Jahr angefangen, den ersten Wildkatzenwald Baden-Württembergs anzulegen, mit Vogelbeeren, Eichen und Linden.

Auch im nördlichen Bayern, in Spessart, Rhön und den Haßbergen sind wieder um die 500 Wildkatzen zu Hause - nachdem sie hier seit 1940 als ausgestorben galten. „Damit sind wir sehr zufrieden“, sagt Uwe Friedel vom Bund Naturschutz in Bayern (BN), der mit an Bord ist bei dem Projekt „Wildkatzenwälder von morgen“.

Hubert Weinzierl, einst Landesvorsitzender des BN, hatte schon 1984 eine Wiederansiedlungsaktion angeregt. Mehr als 600 Tiere wurden damals im Spessart ausgewildert, bis 2009 sicher war, dass sich die Wildkatzen eigenständig vermehren konnten. Inzwischen wurden sie auch im Steigerwald und in der Fränkischen Schweiz gesichtet. Eine Aktion mit Lockstöcken bewies 2015, dass die Tiere sich sogar über die Donau in die südbayerischen Wälder vorgewagt hatten.

Auch in Oberfranken und der Oberpfalz gab es vor kurzem Sichtungen. Für 2026 plant der BN ein neues Lockstock-Monitoring. Langfristig ist eine internationale Vernetzung mit den Nachbarländern Tschechien und Österreich geplant: vom Nationalpark Bayerischer Wald über das böhmische Biosphärenreservat Sumava und den mährisch-niederösterreichischen Nationalpark Thayatal bis ins Waldviertel. „Freyung/Grafenau ist unsere erste Projektregion als Brücke zu Österreich“, sagt Friedel.

Für das geplante Monitoring brauchen die bayerischen Artenschützer aber noch Geld vom Land. Auch ein künftiger österreichischer Kanzler Herbert Kickl dürfte mit seiner FPÖ kein einfacher Nachbar in Sachen Artenschutz werden. „Davon lassen wir uns nicht beirren“, beharrt Friedel: „Die Zeiten waren schon immer schwierig.“

Von Claudia Schülke (epd)