Das Ungesehene in Chemnitz sehen
Die sächsische Stadt ist Europäische Kulturhauptstadt 2025
Chemnitz (epd).

Schon die Schilder auf der Autobahn verheißen Großes: „Chemnitz 2025 Kulturhauptstadt Europas“. Das umfangreiche Programm steht unter dem Motto „C the unseen“ - „das Ungesehene und Unentdeckte sehen“, das soll in rund 150 Projekten mit etwa 1.000 Veranstaltungen gelingen. Europaweit bekannte Namen fehlen nahezu vollständig. Stattdessen legt das Konzept viel Wert auf die Beteiligung von Menschen aus der Region. Das Gesamtbudget beträgt mehr als 90 Millionen Euro.

Oberbürgermeister Sven Schulze (SPD) sieht Chemnitz, das wegen seiner Industrie und Innovationen einst als „sächsisches Manchester“ bezeichnet wurde, sehr gut vorbereitet. „Die Stadt präsentiert sich selbst der Welt, und das ist eine wunderbare Chance, denn verstecken müssen wir uns nicht“, sagte er dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das Gesamtkonzept definiere den Kulturbegriff sehr weit: Außer Theater, Kunst und Musik werde auf innovative Ansätze, moderne Technologien sowie die Teilhabe vieler Menschen gesetzt. Geplant sind etwa Initiativen wie ein „Demokratiestützpunkt“, die Projekte „Gelebte Nachbarschaft“ und diverse Pflanzfestivals.

Chemnitz ist mit Künstlern wie Karl Schmidt-Rottluff (1884-1976), Henry van de Velde (1863-1957) und Stefan Heym (1913-2001) verbunden. Einst stand die Region für Innovationen im Maschinenbau, für Unternehmertum und die Textilwirtschaft. Nach den schweren Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg wurde Chemnitz in der DDR als Karl-Marx-Stadt wieder aufgebaut.

Etwa 1.000 der insgesamt rund 250.000 Chemnitzerinnen und Chemnitzer sind am Kulturhauptstadt-Programm beteiligt. Die Aufbruchstimmung könnte allerdings gut zwei Wochen vor der offiziellen Eröffnung am 18. Januar größer sein. In der Stadt überwiegt, zumindest nehmen Außenstehende es so wahr, eine verhaltene Stimmung.

Oberbürgermeister Schulze dagegen spürt Vorfreude „und eine wachsende Begeisterung in der Stadt und der Region auf das, was da kommt“. Schließlich gebe es wohl nur einmal im Leben die Chance, europäische Kulturhauptstadt zu sein, sagt er. In Deutschland trugen bisher nur West-Berlin (1988), Weimar (1999) sowie Essen und das Ruhrgebiet (2010) den Titel Kulturhauptstadt Europas.

Der Künstlerische Leiter der Eröffnungsfeier, Regisseur Lars-Ole Walburg, hofft auf eine „positive Startenergie, die sich dann hoffentlich lange halten wird“. Kritik und Skepsis kommt von Sören Uhle. Vor etwa zehn Jahren hatte er als damaliger Stadtmarketingchef die Bewerbung für die Kulturhauptstadt Chemnitz 2025 mit auf den Weg gebracht. Doch von der Aufbruchstimmung sei nicht mehr viel übrig, urteilt er. Ehrgeizige Projekte, wie Flächen und soziale Räume für die Stadtgesellschaft zu schaffen oder eine Apfelbaum-Allee in der Innenstadt anzulegen, seien nicht konsequent verfolgt worden.

„Vielleicht waren manche Vorhaben auch nicht praktikabel“, räumt Uhle ein. Doch insgesamt habe die Kulturhauptstadt beim „Groß-Denken“ Angst bekommen, glaubt er. Dabei habe Chemnitz im Bewerbungsprozess Städte wie Dresden, Nürnberg und Hannover hinter sich gelassen.

Uhle gestaltet wöchentlich gemeinsam mit Boris Kaiser den Podcast „Chemnitz be like“ zum Umgang mit und den Folgen der rechtsradikalen Ausschreitungen 2018. Damals war es nach einem tödlichen Messerangriff am Rande eines Stadtfestes zu tagelangen rechtsextremen Aufmärschen gekommen, Augenzeugen sprachen von „Neonazi-Hetzjagd“. Außerdem lebten Mitglieder des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) eine Zeit lang unbehelligt in Chemnitz. Uhle ist überzeugt, dass ohne Aufarbeitung keine Zukunft gestaltet werden kann.

„Die Bewerbung aus Chemnitz ist sehr bodenständig, sie wollte nie Hochglanz sein“, urteilt Uhle. Doch das angestrebte hohe Maß an Bürgerbeteiligung habe sich inzwischen minimiert. Dass zudem das Thema Rechtsextremismus in Chemnitz nicht mit der notwendigen Aufmerksamkeit aufgegriffen werde, „kann nur schiefgehen“, sagt Uhle. Derweil haben Rechtsextremisten für den Eröffnungstag Proteste angekündigt.

Nach dem Willen der Kulturhauptstadt gGmbH und des Oberbürgermeisters sollen sich im Programm „alle Chemnitzerinnen und Chemnitzer wiederfinden und mitmachen können“. Ein viel zitiertes Vorzeigeprojekt ist der sogenannte „Purple Path“, ein Kunst- und Skulpturenweg in fast 40 Kommunen der Region mit Werken von Künstlern wie Tony Cragg und Sean Scully. Nicht überall allerdings schlägt es ein, es gab auch Proteste gegen einzelne Installationen.

Schulze betont, Chemnitz sei eine „wunderbare, weltoffene, bunte und vielfältige Stadt“. Er hoffe, dass in der Kulturhauptstadt zahlreiche Menschen gemeinsam Europa feiern. Die Organisatoren rechnen mit rund zwei Millionen Gästen.

Von Katharina Rögner (epd)