Abendritual mit Zipfelmütze
Das Sandmännchen wird 65 Jahre alt
Potsdam (epd).

Er glitzert und funkelt über den ganzen Bildschirm: Jeden Tag verstreut das Sandmännchen seinen Traumsand für die Kinder. Mehr als eine Million junge und ältere Zuschauerinnen und Zuschauer werden täglich mit den siebenminütigen Kurzfilmen samt „Abendgruß“ erreicht. Jetzt feiert „Unser Sandmännchen“ den 65. Geburtstag: Am 22. November 1959 war der Sandmann zum ersten Mal im DDR-Fernsehen zu sehen. Doch in Rente geht er - zur Erleichterung zahlreicher Fans - nicht.

RBB-Redakteurin Nina Paysen weiß um die Faszination des Traumbringers, der außer dem feinen Sand auch immer eine Gute-Nacht-Geschichte dabeihat, mit Pittiplatsch, Fuchs und Elster, Kalli und vielen anderen. „Das Sandmännchen ist verlässlich, weltoffen, hilfsbereit und treu“, beschreibt sie.

Der Sandmann ist die älteste deutsche Kinderfernsehfigur, seine Sendung wird heute im Kika, MDR und RBB ausgestrahlt. Rein äußerlich sehe er noch genauso aus wie in den 1960er Jahren, sagt Paysen, die Redakteurin der Sendung „Unser Sandmännchen“ ist: dunkle Knopfaugen, weißer Spitzbart, rote Zipfelmütze, Umhang und Stiefel. Oft sei er seiner Zeit voraus: So reise er mit futuristischen oder fantastischen Fahrzeugen wie zum Beispiel mit einer Flugkapsel, einer Recycling-Maschine oder in einem fliegenden Bücherbus.

Beliebt ist der Sandmann wohl nicht zuletzt wegen seiner beständig freundlichen Art. Regisseur und Drehbuchautor Stefan Schomerus beschreibt es so: „Der Sandmann ist eine liebevolle Figur, die den Kindern Sicherheit gibt und die Angst vor dem Einschlafen nimmt.“ Die Sendung sei ein abendliches Ritual, welches immer noch funktioniere: Selbst online wird „Unser Sandmännchen“ zur üblichen Fernsehzeit geschaut. Im Kika und im MDR läuft das Sandmännchen täglich um 18.50 Uhr, im RBB eine Stunde früher.

Der Traumbringer kommt dann im Unterseeboot, auf einem fliegenden Teppich oder in der Berliner U-Bahn daher. Er lenkt Straßenbahnen, Fahrräder und Autos jeglicher Art, fährt Ski oder schwebt im Heißluftballon. Dabei trägt er auch mal stylische Brillen und Helme. Er flog sogar schon mit einem Raumschiff ins All und landete auf dem Mond. Mehr als 300 verschiedenen Fahrzeuge und Fortbewegungsmittel stehen für ihn bereit.

Spektakulär war auch seine Entstehung im Jahr 1959 - in nur rund drei Wochen wurde die etwa 25 Zentimeter große Figur geschaffen. Die DDR-Funktionäre hatten von einem geplanten West-Sandmännchen erfahren, daher sollte schnell ein Gegenspieler für den Osten her. So gesehen ist die beliebte Fernsehfigur auch ein Ergebnis des Kalten Krieges.

Als der Sandmann dann im November 1959 Premiere im staatlichen DDR-Sender DFF hatte, ging er acht Tage früher auf Sendung als sein westdeutsches Pendant. Ganz am Anfang ähnelte das Männchen noch eher einem Gartenzwerg, und es kam zu Fuß.

Geschaffen hat die Ost-Puppe der Berliner Regisseur, Puppen- und Szenenbildner Gerhard Behrendt (1929-2006). Das Sandmann-Lied soll Komponist Wolfgang Richter (1928-2004) gar an nur einem Abend geschrieben haben. Den Text habe er sich durchs Telefon diktieren lassen, heißt es. Sein Werk „Sandmann, lieber Sandmann“ ist heute Ohrwurm der Sendung.

1966 wollte der WDR rund 60.000 Mark für eine Jahreslizenz von 50 Sandmann-Filmen in Schwarz-Weiß zahlen. Das SED-Regime lehnte ab. Nach der deutschen Einheit stand das Sandmännchen auf dem Prüfstand. Doch weil sich zahlreiche Fans für es starkgemacht haben, blieb es schließlich.

Zum Jubiläum hat Sandmann-Regisseur Schomerus neue Folgen gedreht. Für eine Sekunde Film muss er 25 Bilder in der sogenannten Stop-Motion-Technik aufnehmen, eine moderne Form des Daumenkinos. Für jede neue Einstellung werden die Puppen noch immer per Hand bewegt - wie bei der ersten Sandmann-Folge. Die Aufnahmetechnik sei heute natürlich digital und geschnitten werde am Computer, sagt Schomerus, doch letztlich habe sich über die Jahrzehnte nur die Hardware geändert.

Pro Tag könnten etwa vier bis zehn Sekunden Film produziert werden. Für eine Sandmann-Folge brauche es drei bis vier Wochen Drehzeit, mit Vorbereitungszeit seien es sogar etwa drei Monate. Schomerus lässt den Sandmann in die Welt der Kinder kommen, nicht umgekehrt. Oft hilft der Gast den Jüngsten im Alltag. Auch gesellschaftliche Themen werden angerissen. Für die Folge „Recycling-Fahrzeug“ zur Müllentsorgung erhielt Schomerus 2023 den Grimme-Preis.

Zum Jubiläum legt der Regisseur auch den 20-minütigen Film „Die Reise zur Traumsandmühle“ vor. Dafür nutzt er unter anderem Requisiten aus dem Sandmännchen-Archiv in Berlin-Adlershof, zwei Fahrzeuge und eine besondere Mühle, die bisher noch nicht im Fernsehen zu sehen waren. Dass die Frage des Sand-Nachschubs eine drängende ist, bestätigt die Zuschrift eines Kindes an den RBB: Es wollte wissen, was passiert, wenn dem Sandmännchen mal der Traumsand ausgeht.

Von Katharina Rögner (epd)