Pfarrer, Stasi-Aufklärer, Bundespräsident
Joachim Gauck wird 85
Berlin (epd).

Er würde selbst zur Waffe greifen, wenn Deutschland wie die Ukraine angegriffen werden würde, bekannte der frühere evangelische Pfarrer Joachim Gauck im Juli 2022 in der Fernsehsendung „Markus Lanz“. Knapp fünf Monate zuvor hatte Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen.

In der evangelischen Kirche wurde zu diesem Zeitpunkt um eine Position zu den deutschen Waffenlieferungen gerungen. Altbundespräsident Gauck hatte sie längst gefunden. Radikaler Pazifismus würde in Fällen wie diesen „die Dominanz der Bösen, Unmenschlichen und Verbrecher zementieren“, sagte Gauck, der wegen seiner geradlinigen Positionen bis heute ein gefragter Redner für Veranstaltungen und Interviewgast in den Medien ist. Am 24. Januar wird er 85 Jahre alt.

Seine Karriere war ihm nicht vorgezeichnet. Mitten im Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1940, kam er in Rostock zur Welt. Gauck wuchs in der DDR auf, war Pfarrer und Bürgerrechtler. Als später Bundesbürger wurde er 2012 - im Rentenalter - Staatsoberhaupt der Bundesrepublik. Er sei angekommen, obwohl er „nie einen Fahrplan“ gesehen habe, schrieb Joachim Gauck in seiner 2009 erschienenen Autobiografie „Winter im Sommer, Frühling im Herbst“, noch bevor er Bundespräsident wurde.

Der rote Faden, der sich durch sein Leben zieht, ist der Einsatz für Demokratie und Freiheit. Gaucks Kindheit war geprägt von der Abwesenheit des Vaters, der nach dem Zweiten Weltkrieg in einem sowjetischen Arbeitslager interniert war. Die Ablehnung des Kommunismus wuchs seit frühen Kindestagen, sein Misstrauen gegenüber Russland verlor Gauck nie.

Bereits vor der Annexion der Krim und dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine war er ein stetiger Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin. Früh erkannte er auch russische Einflussnahme auf deutsche Populisten: „Einige mischen antiamerikanische und antiwestliche Reflexe mit Sympathien für die autoritäre Herrschaft in Moskau“, sagte er in seiner Rede zum Abschied aus dem höchsten Staatsamt im Frühjahr 2017.

Nach dem Abitur studierte Gauck Theologie, wurde danach Pastor in Mecklenburg. Ende der 80er Jahre zählte er zu den Pfarrern, die ihre Kirchen für die friedliche Revolution öffneten. Gauck war Mitbegründer des Neuen Forums in Rostock und zog nach dem Mauerfall als Abgeordneter von Bündnis 90 in die erste frei gewählte Volkskammer der DDR ein. 1991 wurde er zum ersten Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen berufen. Die Institution hieß im Volksmund schnell „Gauck-Behörde“.

2010 trat der damals 70-Jährige ein erstes Mal als Kandidat von SPD und Grünen für das Bundespräsidentenamt an, verlor aber gegen Christian Wulff, den die schwarz-gelbe Koalition nominiert hatte. Bei seiner Wahl in der Bundesversammlung 2012 stand hinter Gauck dann ein breites Bündnis aus SPD, Grünen, FDP und Union.

In eine Schublade aus dem politischen Farbenspektrum passte der frühere Bürgerrechtler zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Gauck betonte die Chance von Zuwanderung, wetterte mit dem Begriff „Dunkeldeutschland“ gegen Attacken auf Ausländer - doch mahnte er auf dem Höhepunkt der Fluchtbewegung auch zu mehr Realismus: „Unser Herz ist weit. Doch unsere Möglichkeiten, sie sind endlich“, sagte er zum Auftakt der Interkulturellen Woche im September 2015.

Nach einer Amtszeit als Bundespräsident trat Gauck nicht noch einmal an. Aber in seinen Büchern meldet er sich weiterhin zu Wort: In „Toleranz“ warb er 2019 für einen weiten Meinungskorridor, in „Erschütterungen“ ging er 2023 der Frage nach, wie die liberale Demokratie den Angriffen auf sie trotzen kann. Bei Auftritten in jüngster Zeit verteidigte er immer wieder die - auch militärische - Unterstützung der Ukraine. Mehr außenpolitisches Engagement, auch militärisch, forderte Gauck bereits 2014 in einer Rede bei der Münchener Sicherheitskonferenz, die in der Friedensbewegung kritisch gesehen wurde.

Gauck selbst sieht sich dabei aber nicht im Widerspruch zu seinem christlichen Glauben. Auf dem evangelischen Kirchentag 2023 in Nürnberg formulierte er es so: „Christsein verbindet sich auch mit dem Beistand für Opfer. Das ist das, was ich gelernt habe aus unserer Geschichte.“

Von Corinna Buschow (epd)