15 Jahre nach Bekanntwerden des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche zeigen sich Betroffene mit der bisherigen Aufarbeitung unzufrieden. Viele von ihnen seien „desillusioniert“, sagte der Sprecher der Initiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, am Dienstag in Berlin. Das gelte gerade in Bezug auf Entschädigungszahlungen. Katsch forderte hier grundlegende Änderungen, der Stand der Dinge sei „wirklich erbärmlich“.
„Ausnahmslos alle“ Betroffenen von sexualisierter Gewalt, die sich beim „Eckigen Tisch“ meldeten, seien unzufrieden mit den angebotenen finanziellen Leistungen der Bistümer und Ordensgemeinschaften, sagte Katsch. „Die große Masse der Anträge“ bei der von der Kirche eingerichteten Unabhängigen Kommission für Anerkennungsleistungen ende mit der Auszahlung von Summen zwischen etwa 5.000 und 12.000 Euro.
Katsch forderte deutlich höhere Zahlungen. Eine Orientierung biete ein Urteil des Landgerichts Köln vom Sommer 2023, das einem Betroffenen in einem Prozess gegen das Kölner Erzbistum 300.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen hatte.
In dem Verfahren hatte das Erzbistum darauf verzichtet, Verjährung geltend zu machen, die bei zivilrechtlichen Ansprüchen in solchen Fällen für gewöhnlich nach 30 Jahren eintritt. Katsch forderte alle Bistümer auf, sich dieser Vorgehensweise bei zivilrechtlichen Klagen von Betroffenen anzuschließen. Das Beharren auf Verjährung sei moralisch gesehen „Unrecht“.
Für den Fall, dass die katholische Kirche ihre Haltung nicht ändert, forderte Katsch die Politik zum Eingreifen auf. Es solle eine von der Deutschen Bischofskonferenz unabhängige Institution eingerichtet werden, die sich transparent und nachvollziehbar um Entschädigungen kümmern solle. Dazu müsse sie einen von der Kirche zu füllenden Entschädigungsfonds zur Verfügung gestellt bekommen.
Astrid Mayer von einem Aktionsbündnis von Betroffeneninitiativen sagte, sie sei überzeugt, dass der Staat die Aufarbeitung übernehmen sollte. Dass das bisherige Anerkennungssystem schlecht funktioniere, zeige sich auch daran, dass die Mehrheit der Betroffenen es nicht nutze.
Der vor 15 Jahren an der Veröffentlichung des Missbrauchsskandals maßgeblich beteiligte Pater Klaus Mertes unterstützte die Forderungen. „Es geht nicht ohne eine unabhängige Institution“, sagte er. Die Politik müsse aktiv werden. Die Deutsche Bischofskonferenz wollte die Forderungen der Betroffenenverbände nicht kommentieren, wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte.
Der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche war ab Januar 2010 bekannt geworden. Mertes machte als damaliger Direktor der Berliner Jesuitenschule Canisius-Kolleg einen Brief öffentlich, in dem er ehemalige Schüler und mögliche Betroffene sexualisierter Gewalt zur Kontaktaufnahme aufforderte. Zuvor hatten Katsch und zwei frühere Mitschüler Mertes über Missbrauchsfälle in der Schule während der 1970er und 1980er Jahre informiert.