Paus: Gewalt gegen Frauen hat keine Religionszugehörigkeit
Berlin (epd).

In Berlin ist am Donnerstag an die vor 20 Jahren ermordete Deutsch-Türkin Hatun Sürücü erinnert worden. Die junge Frau war am 7. Februar 2005 von ihrem Bruder in Berlin-Tempelhof auf offener Straße erschossen worden. Der Femizid sollte „die Ehre“ der kurdisch-türkischen Familie wiederherstellen.

Bundesfrauenministerin Lisa Paus (Grüne) sagte auf einer zentralen Gedenkfeier am Abend im ehemaligen Flughafen Tempelhof, Gewalt gegen Frauen finde sich in allen gesellschaftlichen Gruppen und Schichten und sei keine Frage von Arm oder Reich, gebildet oder ungebildet. Sie spreche alle Sprachen und habe keine Religionszugehörigkeit.

„Gewalt gegen Frauen ist Teil des Patriarchats und das eigene Zuhause für Frauen immer noch der gefährlichste Ort“; sagte die Grünen-Politikerin laut Redemanuskript: „Das gilt für die Villa im Grunewald genauso wie für die Mietwohnung in Tempelhof.“ Die Gedenkfeier müsse deshalb auch ein Bekenntnis sein: „Wir tun alles in unserer Macht Stehende, um Gewalt an Frauen zu verhindern“, sagte Paus.

Hatun Sürücü sei Opfer eines Femizids geworden, genau wie 360 Frauen allein im Jahr 2023. Die Gewalt-Zahlen gegen Frauen stiegen Jahr für Jahr und hätten 2023 einen Höchststand erreicht. „Mehr als 11.000 Frauen wurden jeden Monat Opfer von Partnerschaftsgewalt, das sind fast 400 am Tag“, beklagte Paus. Und das sei nur die Spitze des Eisbergs: „Denn wir alle wissen: Die Dunkelziffer ist noch viel höher.“

Weitere Rednerinnen waren die Berliner Staatssekretärin für Arbeit und Gleichstellung, Micha Klapp (SPD), und die Juristin Dilken Celebi vom Deutschen Juristinnenbund. Veranstaltet wurde die Gedenkfeier gemeinsam von den Berliner Bezirken Schöneberg-Tempelhof und Neukölln, die unter anderem durch ihre Bezirksbürgermeister Jörn Oltmann (Grüne) und Martin Hikel (SPD) vertreten waren.

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hatte am Donnerstag ebenfalls an Hatun Sürücü erinnert. „Gewalt gegen Frauen geht uns alle an“, erklärte Wegner vorab. Die junge Frau sei ermordet worden, weil sie frei und selbstbestimmt leben wollte. Fast jeden Tag gebe es in Deutschland einen Femizid, alle drei Minuten erlebe eine Frau oder ein Mädchen in Deutschland häusliche Gewalt. „Der Mord an Hatun Sürücü mahnt uns alle, Frauen und Mädchen vor Gewalt zu schützen und ihr Recht auf ein eigenständiges Leben zu verteidigen“, sagte Wegner.

Berlins Gleichstellungssenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) erklärte, Gewalt gegen Frauen dürfe nicht als gegeben hingenommen werden. Jeder und jede hierzulande müsse für eine Gesellschaft eintreten, in der jede Frau und jedes Mädchen, unabhängig von ihrer Herkunft, Religion oder sexueller Identität, sicher und selbstbestimmt leben könne.

Am Freitag ist ein weiteres stilles Gedenken (12 Uhr) am Gedenkstein für Hatun Sürücü in der Oberlandstraße in Tempelhof geplant, dem Tatort ihrer Ermordung. Dort soll mit einer Schweigeminute ihr und aller Opfer von Femiziden gedacht werden.

Der Mord an Hatun Sürücü hatte 2005 eine Debatte über sogenannte „Gewalt im Namen der Ehre“ und Zwangsheirat ausgelöst. Ihr Bruder Ayhan wurde wegen Mordes zu einer Jugendstrafe von neun Jahren und sechs Monaten verurteilt und später in die Türkei abgeschoben.