„Ich wurde am 6. November 1944 mit etwa 300 Häftlingen in das Kommando Ohrdruf geschickt. Dort erhielt ich die Nummer 103921. Hier begann für mich der schwerste und tragischste Abschnitt meines Lebens.“ Der Pole Leon Kolenda hat das Konzentrationslager des Sonderbauvorhabens III in Thüringen vom ersten bis zum nahezu letzten Tag durchlitten.
Zwischen Ohrdruf im Landkreis Gotha und Espenfeld im Ilm-Kreis ließ die SS unter größter Geheimhaltung 1944 einen Konzentrationslager-Komplex zum Bau unterirdischer Anlagen rund um das Jonastal südlich von Arnstadt errichten. Tausende Häftlinge wurden binnen kürzester Zeit dorthin gebracht. „Von dort sollte keiner lebend zurückkehren“, schrieb Kolenda nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Entsprechend brutal sei die Behandlung gewesen.
Bis heute hält sich die Vermutung, mit dem Bauvorhaben habe Adolf Hitlers letztes Hauptquartier in das Karstgestein getrieben werden sollen. Der Bauleiter für „kriegswichtige“ Bauten während der NS-Zeit, Karl Fiebinger (1913-2014), erklärte 1947, er sei mit der Planung des letzten Führerhauptquartiers zwischen Gotha und Crawinkel beauftragt worden. Doch aus den Stollen im Berg ist das nicht ablesbar.
Das Sonderbauvorhaben III wurde geheim gehalten. Zivilarbeiter bekamen nur Ausschnitte der Baupläne zu sehen, mit Häftlingen durfte nicht gesprochen werden, bei Verstößen drohte die Todesstrafe. Georg Ribienski vom Geschichtsverein Jonastal, sagt, es sei unklar, zu welchem Zweck die 25 Stollen in den Fels getrieben wurden.
Die SS sei in Berlin mit der Verwaltung von Baustelle und Konzentrationslager überfordert gewesen. Es habe keinen Überblick über die Häftlingszahlen und demzufolge viel zu wenig Essen gegeben. Zwischen Weihnachten 1944 und dem 15. Januar 1945 sei das Sonderbauvorhaben deshalb schrittweise dem KZ Buchenwald unterstellt worden.
Seit 2002 organisiert der Geschichtsverein Jonastal Gedenkstunden und Zeitzeugengespräche und forscht selbst. Er erfasst die Namen aller 20.000 Häftlinge, digitalisiert Archivmaterial zum KZ und macht es im Internet zugänglich. Seit 2008 betreiben die 30 Mitglieder in einem ehemaligen Bahnausbesserungswerk in Arnstadt ein Dokumentationszentrum mit angeschlossener Ausstellung. Im Eingangsbereich empfängt eine originale Bergwerkslore aus dem Stollensystem die Gäste.
Je tiefer der Verein in die Materie eindrang, desto größer wurden die Fragen. Denn sollten die Aussagen von Häftlingen und US-amerikanischen Befreiern des Lagers stimmen, müsste es unter dem angrenzenden Truppenübungsplatz riesige, nicht mehr lokalisierbare Tunnelsysteme geben.
Der Oberst der US-Army, Robert S. Allen, etwa sprach in diesem Zusammenhang von erstaunlichen unterirdischen Anlagen: „Sie waren buchstäblich unterirdische Städte. Es gab vier in und um Ohrdruf.“ Der Zeitzeuge Karl Zehnel aus Ichtershausen berichtete, er habe Parkettfußboden in die Stollen gefahren: „Kurz bevor die Amerikaner kamen, waren die unterirdischen Konferenzräume, Befehlsstände und Hallen fertig.“
Der US-amerikanische Soldat Lloyd Kalugin erinnerte sich nach Kriegsende, dort eine unterirdische Fabrik mit schweren Maschinen gesehen zu haben: „Wir konnten mehrere Raketen in verschiedenen Produktionsstadien sehen.“
Die bekannten Stollen wurden bis zu 176 Meter in den Berg gegraben. Die Tunneleingänge wurden bis 1947 gesprengt. Konferenzräume, Hallen oder Städte wurden nie gefunden. Für völlig abwegig, dass da noch mehr sein könnte, halten viele Arnstädter die These dennoch nicht. Ribienski betont, es sei nicht klar, „warum die Lager bis zu zwölf Kilometer von der Baustelle entfernt eingerichtet worden sind“. Auch seien die bis zu 10.500 Häftlinge, die dort gleichzeitig arbeiten mussten, zu viel für die vergleichsweise kleine Baustelle gewesen.