Ministerin zu Gewalt an Schulen: "Müssen unsere Werte wiederbeleben"
s:69:"Ministerin zu Gewalt an Schulen: "Müssen unsere Werte wiederbeleben"";
Ministerin zu Gewalt an Schulen: "Müssen unsere Werte wiederbeleben"
Hannover (epd).

Niedersachsens Kultusministerin Julia Willie Hamburg (Grüne) sieht in der zunehmenden Gewalt an Schulen eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung, die in die Schulen hineinwirkt. Alarmierend sei, dass es vereinzelt zu sehr brutalen Übergriffen komme und auch bereits Grundschüler zum Teil gewalttätig reagierten, sagte Hamburg im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Ihr Ministerium überarbeite deshalb den Sicherheits- und Gewaltpräventionserlass.

epd: Frau Hamburg, sie sprachen kürzlich von „einer neuen Qualität von Gewalt“. Was meinten Sie damit?

Julia Willie Hamburg: Vereinzelt beobachten wir, dass bereits sehr junge Kinder gewalttätig auffallen und Übergriffe passieren, die brutal sind und deshalb in der Qualität aufhorchen lassen. Hinzu kommt Mobbing, insbesondere Cybermobbing, von dem viele Kinder, Jugendliche, aber auch Lehrkräfte betroffen sind. Die Gefahren des Internets und der sozialen Netzwerke werden leider noch immer unterschätzt. Das überfordert viele Eltern, oder sie achten nicht ausreichend auf ihre Kinder und wissen gar nicht, wo eine Straftat beginnt.

Wenn etwa per KI ein Nacktbild einer Schülerin produziert und gepostet wird, gilt das als Verbreitung von Kinderpornografie. Wir brauchen mehr Sensibilität in den Elternhäusern und den Schulen. Wir werden diese neuen Gewaltphänomene wie Gewalt im Internet oder Mobbing gezielt in unsere Präventionsprogramme aufnehmen.

epd: Sie sprechen von „sehr jungen Kindern“ - welches Alter ist gemeint?

Hamburg: Wir müssen leider feststellen, dass auch Grundschülerinnen und Grundschüler gewalttätiger reagieren als früher. Das zeigt sich in Konflikten mit Mitschülern, aber vereinzelt auch gegen Lehrkräfte. Die Gründe sind unterschiedlich. In Teilen wird es den Kindern zu Hause vorgelebt, oder sie erleben selbst Gewalt. Zudem zeigen Studien, dass soziale Isolation, dass Kinder mit Problemen alleingelassen werden und es ihnen an sozialen Kontakten mangelt, sowie eine massive Internetnutzung während der Corona-Pandemie bei anfälligen Kindern und Jugendlichen die Gewaltbereitschaft erhöht haben.

epd: Was sind Ursachen zunehmender Gewalt an Schulen?

Hamburg: Darüber können wir nur spekulieren. Hinweise der Polizei und entsprechende Studien beschreiben eine generelle Zunahme von Gewalt in unserer Gesellschaft - auch bezüglich Härte und Brutalität. Die Ursachen dafür sind vielfältig und nicht genau zu benennen. Generell scheint es eine gewisse Enthemmtheit und Entgrenzung zu geben. Manche Forschenden sehen als eine Ursache die Mediennutzung.

Hinzu kommen die vielfältigen Krisen unserer Zeit, denken Sie nur an Kriege, wirtschaftliche und ökologische Probleme, aber auch das Bild, das die Politik gerade abgibt. Wir stellen verstärkte Zukunftssorgen, Orientierungskrisen und stärkere Gereiztheit fest - das schwappt auch in die Schule über. Schulen sind Orte, an denen sehr heterogene Personengruppen aufeinandertreffen und in denen sich auch mal Frust, der nicht zwingend etwas mit Schule zu tun haben muss, „entladen“ kann.

epd: Noch einmal zurück zu den Eltern: Welche Rolle spielen sie?

Hamburg: Eltern beziehungsweise Erziehungsberechtigte haben eine Vorbildfunktion für ihre Kinder und nach wie vor den größten, unmittelbarsten Einfluss auf ihre Kinder. Sie haben deshalb auch eine große Verantwortung - die kann Schule ihnen nicht abnehmen und sie auch nur bedingt auffangen. Schule ergänzt die Arbeit im Elternhaus - und ersetzt sie nicht. Bei Gewalt in der Schule ist das Elternhaus immer wieder auch Teil des Problems. Auch wir Erwachsene sind durch Krisen, Kriege, der wirtschaftlichen Situation, Stress und private Probleme unausgeglichen, müde, belastet oder gar überfordert. Das macht viel mit unseren Kindern - sie blicken sorgenvoll in die Zukunft. Das muss uns alle alarmieren und immer auch zur Selbstreflexion anregen.

epd: Sie haben angekündigt, den entsprechenden Gewaltpräventions-Erlass zu überarbeiten: Was heißt das konkret, inwiefern kann das die Situation verbessern?

Hamburg: Wir haben einen Erlass, der sich bewährt hat, und der klar regelt, was passiert, wenn es zu Gewalt in der Schule kommt, wie beispielsweise die Zusammenarbeit mit Polizei und Justiz zu erfolgen hat. Dennoch überarbeiten wir ihn gerade mit den anderen zuständigen Ministerien. Ziel ist es, die Schnittstellen zwischen Schule, Jugendhilfe, Polizei und Justiz zu verbessern. Ganz besonders wollen wir schauen, wie wir Jugendhilfe besser mitdenken können. Denn sie ist entscheidend in der Arbeit mit Kindern. Stärker fokussieren wollen wir uns auch auf Gewalt gegen Lehrkräfte, Mobbing und digitale Formen von Gewalt.

epd: Welche Instrumente stehen Schulen für Gewaltprävention zur Verfügung?

Hamburg: Da haben wir eine Menge, ich nenne nur ein paar: Alle Schulen haben ein schuleigenes Präventionskonzept, künftig wird dazu auch ein Schutzkonzept gegen sexuelle Grenzverletzungen gehören. Neben den Regionalen Landesämtern für Schule und Bildung gibt es diverse Institutionen, die Präventionsangebote vorhalten, etwa der Landespräventionsrat oder die Landesstelle Jugendschutz, aber auch die Präventionsbeauftragten der örtlichen Polizeien und Jugendgerichtshilfe. In der Regel gibt es auch Schnittstellen zur örtlichen Jugendhilfe. Viele Präventionsprogramme beziehen Eltern aktiv ein, oft ist aktivierende und aufsuchende Elternarbeit vorrangig gefragt. Hier arbeiten die Schulen eng mit der kommunalen Jugendhilfe zusammen.

Das Kultusministerium bietet zudem mit externen Partnern eine Reihe von Präventionsprojekten an, wie etwa ein Mobbing-Interventions-Team, das Sozialkompetenztraining „Lions Quest“ oder die ChatScouts, ein Projekt gegen Cybermobbing. Ferner gehen wir gezielt auf Heranwachsenden zu. So wird zusammen mit dem Landesschülerrat ab Anfang 2025 eine Peer-to-Peer-Plattform verfügbar sein, die Informationen und Hilfe zu Fragen rund um psychische Gesundheit bieten soll.

Mit dem Programm „Schools that care“ können Schulen zudem eine Risiko- und Potenzialanalyse erstellen und darauf aufbauend passgenaue Präventionskonzepte entwickeln. Im Interventionsfall werden die Schulen durch die Krisen- und Notfallteams der Schulpsychologie unterstützt.

epd: Das klingt nach einem breiten Unterstützungsangebot…

Hamburg: Ja, ich möchte aber darauf hinweisen, dass die beste Prävention in einer attraktiven Schule besteht, in die Kinder und Jugendliche gern gehen, die ein ansprechendes Lernklima erzeugt, die Kinder, Jugendliche, Eltern beteiligt. Ferner brauchen wir eine grundsätzliche gesellschaftliche Debatte darüber, wie wir miteinander umgehen, welchen Stellenwert heutzutage noch Respekt im Umgang miteinander hat. Akzeptanz, Toleranz und Respekt gegenüber Andersdenkenden, sich ausreden lassen, nicht gleich wütend werden und überreagieren, sondern solidarisch und mitmenschlich sein - wir alle sind als Vorbilder gefragt. Wir müssen unsere gesellschaftlichen Werte wiederbeleben.

epd-Gespräch: Julia Pennigsdorf