Anfang Mai übernimmt die Meeresbiologin und Klimafolgen-Forscherin Antje Boetius die Leitung des renommierten Monterey Bay Aquarium Research Institute in Kalifornien. Die in Frankfurt/Main geborene Wissenschaftlerin ist seit November 2017 Direktorin des Bremerhavener Alfred-Wegener-Institutes für Polar- und Meeresforschung (AWI) und wurde für ihre Arbeit unter anderem auf zahlreichen Expeditionen schon vielfach ausgezeichnet. Am 3. März hat sie die Bremer Senatsmedaille für Wissenschaft und Kunst erhalten. Mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) sprach sie vorab über planetare Zusammenarbeit für den Klimaschutz, den Ozean und die Arktis als Klimaküche und über einen spektakulären Fund unter dem arktischen Eis.
epd: Frau Boetius, in Ihrer Forschungszeit in Bremerhaven und in Bremen war für Sie die Klimakrise ein bestimmendes Thema. Ist das die existenzielle Frage der Menschheit?
Antje Boetius: Bei meiner Forschung geht es in großen Teilen gerade nicht um den Menschen, sondern um all das andere, größtenteils unbekannte Leben im Ozean. Das ist eine sehr wichtige Frage: Welche Rolle spielen der Ozean und die Polarregionen für die Entwicklung des Lebens auf der Erde und auch für unser Leben? Es gibt sicher nicht nur eine existenzielle Frage zum Überleben der Menschheit, sondern viele. Was den Klimawandel angeht: Aus der Erdgeschichte kann man durchaus das Wissen ziehen, dass wir Menschen mit unseren Infrastrukturen für die Folgen einer fortschreitenden Erwärmung des Planeten nicht gut gewappnet sind.
Leider kann der Verlust von Heimat, Haus und Leben durch die Folgen der Erderwärmung jeden treffen. Hochrechnungen zeigen: Den größten Schaden erleiden die Menschen, die am wenigsten CO2 emittiert haben. Die Schäden werden zudem schneller teurer als das, was in Energiewende und anderen Klimaschutz investiert wird, und das kann ein Teufelskreis werden. Also ist die eigentliche existenzielle Frage für die Menschheit: Welche Art von planetarer Zusammenarbeit braucht es, wer organisiert diese und wie könnte ein ökologischer, politischer und sozioökonomischer Rahmen funktionieren, um gut zusammenzuleben, mit allem, was der Planet zu bieten hat?
epd: Im zurückliegenden Bundestagswahlkampf haben die Klimakrise und der Klimawandel eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Auch auf EU-Ebene hat das Thema anscheinend nicht mehr die Top-Priorität. Der US-amerikanische Präsident Donald Trump steigt sogar aus dem Pariser Abkommen zur Begrenzung der Erderwärmung aus. Was sagen Sie dazu?
Boetius: Wahlkampf ist ja dadurch definiert, dass nur wenige Themen herausgepickt werden, bei denen Parteien und Politiker denken, sich profilieren zu können. Für den Klima- und Umweltschutz und die Energiewende haben wir einen europäischen Vertrag abgeschlossen, den sogenannten „Green Deal“. Die Mehrzahl der Parteien steht auch dazu, den nationalen Beitrag umzusetzen. Daher war Klima nicht das große Wahlthema. Es steckte dennoch in allen Parteiprogrammen, und ein Drittel der Fragen beim Wahl-O-Mat hatte mit Klimaschutz zu tun. Umfragen zeigen zudem, dass für über 80 Prozent der Bürger Klima- und Umwelt-Themen weiter sehr wichtig sind und sie da viel mehr von den Parteien erwarten. Aber aktuell kommen eben kurzfristigere Sorgen um die Sicherheit - auch wirtschaftlich - obendrauf.
International bleibt zu wünschen, dass ehrgeizig zusammen am Pariser Klimaabkommen gearbeitet wird und alle Länder in Vorbildfunktion kommen wollen, auch um dadurch ihre eigene Innovationsfähigkeit und Entwicklungsperspektiven zu sichern. Jeder Rückschritt ist angesichts der Folgen enttäuschend. Aber noch ist nicht klar, ob der Sinneswandel der US-Regierung die Emissionsbilanz stark verändern wird. Manchmal erzeugt ja gerade ein Schock eine Gegenreaktion, die dem Klimaschutz nutzt.
epd: Welche Regionen der Erde sind für das Klima besonders wichtig? Wo steht die Klimaküche? Und warum?
Boetius: Der Ozean ist besonders wichtig, denn er nimmt über 90 Prozent der durch Treibhausgas erzeugten Wärme auf und verteilt sie um. Und er schluckt auch 25 Prozent des CO2 aus der Atmosphäre. Auch die gefrorenen Landschaften sind wichtig - Schnee und Eis reflektieren Sonnenlicht zurück und vermeiden so zusätzliche Erwärmung. Die Eismassen auf Grönland und der Antarktis steuern den weltweiten Meeresspiegel, sind also auch wichtig. Das Klimasystem ist sehr komplex, der Klimawandel betrifft nun alle Regionen der Erde.
Die Arktis gehört zu den sich am schnellsten erwärmenden Regionen der Erde, mit fundamentalen Konsequenzen für den Lebensraum und die Artenvielfalt. Das sieht man vor allem an der Abnahme der Meereis-Bedeckung - mittlerweile um 13 Prozent pro Dekade. Aber auch unsere Region und die Nord- und Ostsee verändern sich schneller als der globale Durchschnitt - wir merken das an vielen Problemen wie Dürren, Waldbränden, Überschwemmungen. Was mir vor allem Sorge macht ist, dass in vielen Bereichen der Erde diese Änderungen auch direkt auf das Netzwerk des Lebens einwirken, und der Klimawandel zunehmend auch die Vielfalt und Produktivität der Ökosysteme verschlechtert.
epd: Haben Sie das Gefühl, dass die Dringlichkeit, etwas zu tun, in der Bevölkerung verstanden wurde?
Boetius: Zu unserem Forschungsauftrag gehört, die Risiken von Entwicklungen aufzuzeigen. Umfragen zeigen: Wir Deutschen würden in großer Mehrheit gerne klimaschützend leben und arbeiten. Wir sind aber auch empfindlich für ungerechte Verteilungen der Mehrkosten des Klimaschutzes. Es braucht also Anreize und viel Transparenz, zum Beispiel in Bezug auf Subventionen in fossile versus regenerative Energien und die Ursache von Verteuerungen.
epd: Was wären denn die Hauptstellschrauben, um in der Klimakrise etwas zu bewegen?
Boetius: Die Ursache ist ja klar: Es sind die in den vergangenen 100 Jahren enorm angestiegenen Emissionen von Kohlendioxid aus Kohle, Öl und Gas. Was der Ozean und die Ökosysteme nicht schlucken, sammelt sich in der Atmosphäre, das sind mittlerweile 50 Prozent des emittierten Kohlendioxids. Da wir vor allem mehr Energie brauchen werden und diese auch nicht immer teurer sein darf, ist die Stellschraube einerseits die faire Bepreisung, andererseits die Technologie-Entwicklung hin zu regenerativen Energien, also Elektrizität aus Sonne, Wind und Wasser, einschließlich auch der Nutzung von Energie-Molekülen wie Wasserstoff, Methanol, Ethanol und Ammoniak. Dafür muss in Infrastruktur investiert werden. Und da tut sich Politik eben schwer, denn das kostet viel, und die Belohnung folgt erst in kommenden Wahlperioden.
Wichtig ist da in Partnerschaft mit anderen Ländern schneller die Abhängigkeit von Kohle, Öl und langfristig auch Gas zu verringern - und den Meeresschutz auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene zusammenzudenken. Dann kann der Ozean Teil der Lösung sein für eine nachhaltige Zukunft.
epd: Und wie kann es gelingen, Bürgerinnen und Bürger auf diesem Weg mitzunehmen?
Boetius: Kommunikation ist wichtig. Klimaschutz braucht einen Plan, der zum Mitmachen anregt. Besonders wichtig scheint mir die Multiplikation unserer Kräfte am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft, in Gemeinden, Städten und in allen Formen von politischem Engagement. Seinem Bundestagsabgeordneten zu vermitteln, was vor Ort gebraucht wird, bei Veranstaltungen mit dem neuen Wissen mitlernen, neue Praxis-Tipps abholen und mitdiskutieren, das ist wichtig.
Darum geht es doch bei uns allen: fühlen und wissen zu können, dass wir Chancen haben, mit unserem Handeln die Umstände um uns herum zu verbessern, und das auch für die Meere. Es darf sich aber nicht so anfühlen wie jetzt gerade, als wäre jeder Einsatz nutzlos, teuer und unbequem. Deswegen sollten wir auch darüber sprechen, was uns schon gelungen ist - es gibt ja viele Beispiele, wie den weltweiten Schutz der Wale. Wichtig scheint mir genau das: Klare Kommunikation zu Risiken und Lösungen und mehr Beispiele dafür, dass wir alle Chancen haben, voranzukommen mit dem guten Umgang mit dem Ozean.
epd. Was war Ihre kurioseste Entdeckung oder Erkenntnis in Ihrer AWI-Arbeit?
Boetius: Was die Forschung angeht, war es eine riesige bisher unbekannte Landschaft von Tiefseegebirgen, geformt von erloschenen Vulkanen unter dem arktischen Eis. Die waren über und über besiedelt von sehr großen Schwämmen, die mehrere hundert Jahre alt werden. Sie können sogar kriechen und mit Bakterien zusammenleben, die ihnen helfen, völlig unverdauliches Material zu zersetzen. Das war ein spektakulärer Fund, weil niemand wusste, dass es so viel Leben da unten am Nordpol gibt.
epd: Ihr Abschied von Bremerhaven rückt näher. Worauf freuen Sie sich in Kalifornien besonders?
Boetius: Das Monterey Bay Aquarium Research Institute ist besonders spezialisiert in meinem Hauptforschungsgebiet, der Tiefseeforschung. Ich habe ja teilweise in Kalifornien studiert und dann auch Jahrzehnte im Pazifik geforscht. Und ich freue mich sehr darauf, direkt am, im und auf dem Ozean zu arbeiten und zu leben.
Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung: www.awi.de
Monterey Bay Aquarium Research Institute: www.mbari.org