Wer Magisches liebt, ist in der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar genau richtig. Dort gibt es süchtige Leser, Goethes „Faust“ und Knoblauch am Regal.
Wetzlar, Butzbach (epd). Die Kinder wuseln durch den Raum, zwei Jungs verteilen Kissen. „Wir haben eine Festung gebaut!“ Maren Bonacker lacht, sie setzt sich auf den „Märchen-Sessel“ und beginnt zu lesen: „Der arme Korbflechter und die drei Quellen“. Die Kinder, eben noch quirlig und laut, werden ganz still.
Maren Bonacker leitet die Phantastische Bibliothek in Wetzlar. Auf fünf Etagen beherbergt die Bibliothek ausschließlich fantastische Literatur, von Goethes „Faust“ über „Die Schule der magischen Tiere“ bis zu den „Tributen von Panem“. Kinder und Erwachsene kommen hierher zum Lesen und Ausleihen, Schulen holen Tipps und Medienkisten ab, Firmen buchen Kreativseminare zum innovativen Denken.
Neben einer Bücherreihe baumelt Knoblauch, es gibt ein Tausendundeine-Nacht-Regal und gemütliche Ecken, in die man sich verkrümeln kann. „Wir haben ein Stammpublikum, das richtig viel liest“, erzählt Bonacker, süchtige Leser, die sich freuen: „Hier riecht's nach Büchern!“ Sie verlassen das Haus mit einem Berg an Gedrucktem.
Ein Mädchen habe während des Lesesommers 70 Bücher ausgeliehen. Maren Bonacker weiß natürlich, dass das eine Ausnahme ist. Viele Kinder und Jugendliche tun sich schwer mit Büchern. Ein „Herzensding“ sei daher das Projekt „Vorlesen in Familien“, bei dem sich zurzeit 25 geschulte Ehrenamtliche engagieren. Leseförderung ist ein großes Thema in der Bibliothek.
Ob jemand viel liest, hänge oft vom Freundeskreis ab, erklärt die Lese- und Literaturpädagogin. „Wenn es uncool ist, haben Bücher wenig Chancen.“ Sie rät Eltern: „Immer wieder was anbieten“, auch Ungewöhnliches. Sie habe ihren Sohn mal mit zur Buchmesse genommen, der sich dort selbst etwas aussuchen durfte und die Reihe „Mein dicker fetter Zombie-Goldfisch“ entdeckte. Aktuell lese er „Wie werde ich reicher als meine Eltern?“
Bonacker beobachtet: „Auch Kontakt zu den Autoren kann einen Funken entzünden.“ Wichtige Vorbilder seien außerdem Influencer und YouTuber, etwa der YouTuber und Gamer Paluten, mit bürgerlichem Namen Patrick Mayer, der rund um seine Videos eine Kinderbuchreihe baut.
Und: „BookTok ist ein Trend.“ In der Online-Community auf TikTok stellen die User - meistens Mädchen - in kurzen Clips Bücher vor. Viele Buchläden sind mittlerweile eingestiegen, darunter die Buchhandlung Bindernagel in Butzbach, „um mit der Zeit zu gehen“, wie Buchhändlerin Claudia Lang sagt. Schon vor Jahren gründete die Buchhandlung einen eigenen Leseclub. Für BookTok drehen die Mädchen ihre Videos oft während des laufenden Betriebs. Lang erzählt, dass vor allem die Genres „Young Adult“ und „New Adult“ beliebt sind, die häufig vor einem Romantik- oder Fantasy-Hintergrund spielen.
In der Phantastischen Bibliothek stellt allerdings die Science-Fiction-Literatur den größten Teil der 300.000 Bücher. Das Alter der Leserschaft bewege sich bei Science Fiction „eher ab 50 aufwärts“, sagt die Leiterin. Angedockt ist ein spannendes Projekt: Aus der Literatur werden Produkte und Prozesse herausgelesen, die eines Tages real werden könnten. Wie sehen Städte aus, die gar keine Transportmittel mehr brauchen? Welche sozialen Auswirkungen hat es, wenn der Klimawandel immer mehr Dürren verursacht?
Wenn Kinder in eine Geschichte eintauchen und den Kontext erfassen, trainiere das die Aufmerksamkeitsspanne und die Langzeitkonzentration, erklärt Bonacker. In ihrer Vorlesestunde zieht sie ein Bilderbuch über Goethes „Zauberlehrling“ aus dem Stapel. „Heute kriegt ihr Bildung pur, heute gibt’s Goethe“, ruft sie fröhlich. 20 Kinder hören mit wachem Blick zu.
www.phantastik.eu
https://bindernagel.buchhandlung.de