Fasching ist manchmal eine ernste Angelegenheit. Das bekamen 1539 die Nürnberger „Schembartläufer“ zu spüren: Nachdem sie beim Faschingszug Reformator Andreas Osiander verspottet hatten, verbot die Stadt Nürnberg das närrische Treiben. Seit 50 Jahren lässt die Nürnberger Schembart-Gesellschaft aber die Tradition wieder aufleben.
In fränkisch rot-weißen Kostümen, mit Federn geschmückten Hüten, Glockengürteln und Bändern tanzen die Schembartläufer ausgelassen im Probenraum in der Nürnberger Villa Leon zu den Klängen von Landsknechttrommel und Sackpfeifen. Was so leichtfüßig anmutet, ist bei näherem Hinsehen gar nicht so einfach. „Die Schritte einzustudieren ist nicht das Problem, mit den Masken auf dem Gesicht sieht man aber nur wenig, und muss dabei auch noch mit den anderen in der Reihe synchron bleiben“, sagt Agnes Graf-Then.
Die Historikerin und Musikwissenschaftlerin lebt ihr Faible für historische Tänze in der Schembart-Gesellschaft aus, organisiert als Vorsitzende mit ihrem Team nicht nur Proben oder Veranstaltungen, sondern gibt auch die Vortänzerin.
Der Nürnberger Faschingsumzug soll der älteste städtisch organisierte Faschingszug in Europa sein. Begeisterung für die geschichtsträchtige und farbenfrohe Tradition aus der mittelalterlichen Fastnachtshochburg Nürnberg war es auch bei Karlheinz Schnabel, die das Gründungsmitglied der heutigen Gesellschaft 1974 mit Gleichgesinnten auf die Idee brachte, die Schembartläufer wieder aufleben zu lassen. „In dem Gewand fühl’ ich mich immer noch wohl und mach gerne mit“, sagt der Sackpfeifer, der sein Dudelsack-ähnliches Instrument mit hoher Spiel- und zwei tieferen Bordunpfeifen mit Leidenschaft spielt.
Mit dabei sind in diesem Jahr auch einige neue jugendliche Gesichter. Darunter die Zwillinge Tim und Matteo Tokic, die durch eine Freundin ihrer Mutter neugierig gemacht wurden. „Ist doch cool hier“, lachen die beiden, während sie die Tanzübungen per Handy festhalten. „Ja, eine Jugendgruppe wäre toll“, seufzt Graf-Then. Im Gegensatz beispielsweise zu Gardegruppen, bei denen man auch aus sportlichen Gründen mitmacht, seien die Pavanen- oder Buffonen-Tänze zwar körperlich ebenfalls herausfordernd, aber auch geistig. „Man muss die Schrittfolgen nahezu inhalieren“, erklärt die Historikerin.
1449 hat der erste belegte Schembartlauf stattgefunden. Der Legende nach als Zugeständnis des Rates an die Nürnberger Metzger nach einem Handwerkeraufstand. Zur Fastnacht durften sie einen Tanz mit Gesichtsmasken aufführen, die oft mit einem Bart verziert wurden: Aus dem „Schönbartlauf“ wurde im Volksmund bald der „Schembartlauf“.
Dem schlossen sich im Laufe der Jahre mehr Menschen an. Die patrizische Jugend Nürnbergs erkaufte sich der Sage nach das Recht zur Teilnahme am Umzug von den Metzgern, da sie sich auf diese Weise verkleiden und unerkannt ausleben konnten. Und sie wollten Kritik an den Verhältnissen in der Stadt üben. Dabei zogen sie einen immer wieder neu gestalteten Wagen auf Schlittenkufen durch die Stadt, die sogenannte „Hölle“ - quasi der Vorläufer der heutigen Motivwagen bei Fastnachtsumzügen.
In 80 unter anderem im Germanischen Nationalmuseum oder der Stadtbibliothek in Nürnberg aufbewahrten Büchern findet man noch heute die in den rund 90 Jahren der Blütezeit überlieferten Schrittfolgen für die Tänze, Noten aus der Dürer-Zeit oder Zeichnungen von typischen Kostümen. Darunter ein kunterbunter Drache, der die „Hölle“ anführte, oder der „Wilde Mann“, ein grüner Jägergeselle mit buschigem Fell. Als „Ablass-Krämer“ tauchte eine Person auf, an deren Körper Ablass-Briefe flatterten.
Obrigkeits- und gar Religionskritik war auch den Schembartläufern nicht fremd. Mit letzterer hatten sie 1539 den Bogen überspannt, als in der „Hölle“ eine Schar als Pfarrer verkleideter Männer saß, die vom damaligen Lorenzer Pfarrer Osiander angeführt wurde. „Da war den Patriziern das Gutwetter mit der Geistlichkeit dann heiliger als der Spaß für die Bevölkerung oder gar das Geld, das der Lauf regelmäßig in die Stadtkassen spülte“, meint Horst Kaufmann, Mitglied der Schembart-Gesellschaft, der deren Geschichte erforscht hat.
Das gesamte Wissen um die Tradition wurde in den Jahrzehnten darauf zwar zu Papier gebracht und aufgehoben. Bis diese jedoch wieder zu Leben erwachte, sollte es noch einmal einige Jahrhunderte dauern. „Nürnberg könnte heute eine nationale Faschingshochburg sein“, trauert Agnes Graf-Then ein bisschen den alten Zeiten nach. Immerhin aber sei der Lauf am Faschingssonntag ein Highlight. Dies sei bei Weitem aber nicht der einzige Höhepunkt des Vereins- und des Jubiläumsjahres 2024. Das wartet nämlich schon am 10. März (Lätare) mit dem „Winteraustreiben“ auf. Am 7. Juli wird das erste von vier sommerlichen Konzerten im Krafft'schen Hof über die Bühne gehen. (00/0223/21.01.2024)