Stabile Seitenlage für die Seele
Broschüre
Handbuch des MHFA-Ersthelfer-Kurses für psychische Gesundheit.
Stuttgart/Mannheim (epd)

Psychische Erkrankungen sind zur Volkskrankheit geworden. Laut einer Studie des Robert Koch-Instituts litt im vergangenen Jahr fast ein Fünftel der Erwachsenen in Deutschland nach eigenen Angaben unter depressiven Symptomen. Und die Fehlzeiten bei der Arbeit wegen psychischer Erkrankungen sind in den vergangenen zehn Jahren um 50 Prozent gestiegen.

Das heißt: Fast jeder und jede kennt einen Menschen, der unter psychischen Problemen leidet. Aber viele sind unsicher, wie sie sich verhalten sollen, wenn die Freundin oder der Kollege betroffen ist. Das wollen die «MHFA-Ersthelfer-Kurse für psychische Gesundheit» ändern. MHFA steht für «Mental Health First Aid». Der Kurs kommt aus Australien, es gibt ihn in 29 Ländern. In Deutschland werden die Kurse in Trägerschaft des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit in Mannheim veranstaltet, mit Unterstützung der Beisheim Stiftung.

Johannes Reiner leitet einen Kurs, den die katholische Kirche in Stuttgart anbietet. Er ist Psychiater und Psychotherapeut und möchte andere dazu ermutigen, selbst zu handeln, wenn sie merken, dass es jemandem schlecht geht. «Es ist ja nicht das Ziel, die Kursbesucher zu lauter Psychiatern zu machen, sondern es braucht den Mut und auch die innere Sicherheit, zu sagen, auf den gehe ich mal zu und biete ein Gespräch an.»

In zwölf Stunden erhalten die Teilnehmenden Grundwissen über psychische Störungen und Erkrankungen wie Depression, Psychose und Suchterkrankungen. Mit Gruppenübungen, Rollenspielen und Filmbeispielen wird vermittelt, wie die sie auf Betroffene zugehen und diesen Hilfe und Unterstützung anbieten können.

Reiner ermutigt die Teilnehmer, in Rollen zu schlüpfen. So sitzt auf einem Stuhl eine Frau, die spielt, dass sie sich von ihrem Mann getrennt hat, und die sich zunehmend erschöpft fühlt, nicht mehr schlafen kann. Ein anderer Kursteilnehmer klopft an der Tür und soll im Rollenspiel die Tipps für die Gesprächsführung anwenden, die er gerade gelernt hat.

Zu den Ratschlägen gehört, dass man intensiv zuhört und einfühlsam reagiert. Vor allem soll die betroffene Person ermutigt werden, professionelle Hilfe anzunehmen - und man soll ihr zeigen, wohin sie sich wenden kann. «Beim Rollenspiel habe ich gemerkt, dass es nicht einfach ist, im konkreten Fall die richtigen Fragen zu stellen», sagt Kursteilnehmerin Eva. «Aber wenn man seinen Teil dazu beitragen kann, dass eine Krise erkannt wird und jemand Hilfe bekommt, dann ist das schon eine gute Sache.»

Und Kursteilnehmerin Petra ergänzt: «Ich habe gelernt, lieber früh zu sagen, da braucht es professionelle Hilfe, als selbst zu versuchen, jemanden alleine durchzutragen. Wichtig ist auch zu schauen, ob es Freunde oder Familienangehörige gibt, die man mit ins Boot nehmen kann.»

In dem Kurs wird auch thematisiert, wie mit Menschen umgegangen werden sollte, die Suizidgedanken haben. Wichtig ist, dieses heikle Thema ganz offen anzusprechen und zu fragen, ob jemand Suizidgedanken hat und wie konkret diese sind. «Es ist ein Irrtum zu denken, das darf ich nicht ansprechen, weil es jemanden erst auf den Gedanken bringt, sich etwas anzutun. Gerade das Gegenteil ist der Fall: Jemand, der diese Gedanken schon hat, fühlt sich erleichtert, wenn das erkannt wird», sagt Johannes Reiner.

Und je nachdem, wie massiv diese Suizidgedanken sind, erfahren die Kursteilnehmer, wie sie helfen können: Ob es reicht, jemanden an eine professionelle Stelle zu verweisen oder ob man bei akuter Suizidgefährdung auch - unter Umstände gegen den Willen der Betroffenen - direkt handeln und professionelle Hilfe holen muss. Wichtig ist auf jeden Fall: Wenn jemand Suizidgedanken habe, dürfe nicht versprochen werden, dass diese geheim gehalten würden, lernen die Teilnehmer im Kurs.

Für Johannes Reiner ist klar: Jeder Erwachsene sollte nicht nur die stabile Seitenlage beherrschen, sondern genauso in Sachen seelischer Gesundheit geschult sein und wissen, was zu tun ist, wenn jemand in einer seelischen Krise steckt: «Das müsste zum Allgemeinwissen gehören.» Für ihn wäre es «naheliegend und logisch», dass jeder sich in diesem Bereich weiterbildet: «Wenn die psychischen Erkrankungen zunehmen, ja, dann müssen wir doch Kenntnisse darüber haben!» Denn: Auch ein Erste-Hilfe-Kurs-für die Seele kann im Ernstfall Leben retten.

 

Von Judith Kubitscheck (epd)