23 Jahre ist es her, dass Eberhardt Renz vom Amt des Bischofs der Evangelischen Landeskirche in Württemberg in den Ruhestand wechselte. Der 89-Jährige lebt bei ordentlicher Gesundheit in Tübingen und ist am Leben von Kirche und Theologie interessiert wie eh und je. Vor wenigen Monaten hat er ein autobiografisches Buch herausgebracht, in dem er über seine zwei Studienjahre im indischen Madras, seinen Einsatz in Kamerun und die Erfahrungen im weltweiten Ökumenischen Rat der Kirchen reflektiert. Titel: «Das Ganze der Welt im Auge behalten».
Derzeit behält Renz vor allem seine Frau Annemei im Auge, die pflegebedürftig ist. Jeden Tag steigt der Vater von zwei Söhnen und Großvater von fünf Enkeln aufs Rad, um in Tübingen Besorgungen zu machen. Zu seinen letzten verbliebenen Ämtern gehören die Schirmherrschaft der Organisation «refugio», die sich um traumatisierte Flüchtlinge kümmert, und die Mitgliedschaft im Deutschen Institut für Ärztliche Mission (Tübingen).
«Ich bin im Ruhestand nicht in ein Schwarzes Loch gefallen», resümiert der Theologe mit einem Schmunzeln. So diente er noch bis 2006 als einer der Präsidenten des Lutherischen Weltbunds und war rund um den Globus unterwegs. Bis 2021 traf er sich jährlich mit einer Gruppe europäischer Bischöfe, um die Ökumene auf dem Kontinent voranzutreiben. Sein Rat für angehende Pensionäre: «Tu, was Dir Spaß macht - und lasse Dir Deinen Kalender nicht mit Terminen füllen.» Allzu häufig bekomme man als Ruheständler Anfragen nach dem Motto «Du hast doch jetzt Zeit».
Für Gerhard Maier, der 2001 auf Renz folgte und bis 2005 als Landesbischof amtierte, ging die Arbeit im Ruhestand nahtlos weiter. Der Theologieprofessor hielt Vorträge, predigte in Gottesdiensten und schrieb allgemeinverständliche Kommentare zu neutestamentlichen Büchern, etwa zum Matthäus-Evangelium und zur Offenbarung des Johannes. Als Mitherausgeber der Kommentarreihe «Historisch-Theologische Auslegung» hat er andere Autoren begleitet. Außerdem prüfte er Übersetzungen seiner Bücher, beispielsweise ins Rumänische.
«Man muss noch mal ganz frisch ins Wasser springen», sagt der bald 87-jährige, der mit seiner Frau Gudrun ebenfalls in Tübingen wohnt, allerdings mehrere Wochen im Jahr in Venedig verbringt. Zur Familie, die er seit der Pensionierung wieder intensiver pflegt, gehören vier Söhne, zwölf Enkel und fünf Urenkel. In den theologischen Streit um die historisch-kritische Auslegung der Bibel, die Maier schon in jungen Jahren gegen den wissenschaftlichen Mainstream abgelehnt hat, stieg er im Ruhestand nicht mehr tiefer ein. «Ich habe kein neues Schlachtfeld eröffnet», sagt er.
Gesundheitlich ist Maier inzwischen eingeschränkt, Vorträge kann er nur noch sporadisch halten. In seiner Erinnerung an die zurückliegenden knapp zwei Jahrzehnte Ruhestand stechen sogenannte Bibelstudientage hervor, die gut besucht waren. Das Interesse an der Bibel sei in Württemberg «einzigartig» und nur mit einzelnen Regionen in Afrika vergleichbar, sagt der Theologe.
Frank Otfried July ist der Jungspund unter den württembergischen Altbischöfen. Er hat gerade seinen 70. Geburtstag gefeiert und lebt mit seiner Frau Edeltraud im mittelfränkischen Windsbach bei Ansbach. Wie Eberhardt Renz nahm er noch Aufgaben für den Lutherischen Weltbund mit in den Ruhestand, etwa den Vorsitz des Deutschen Nationalkomitees. Doch damit ist inzwischen auch Schluss. July nennt es einen «sehr menschenfreundlichen Übergang».
Die Familie - vier Kinder, neun Enkel - nimmt ihn nun etwas häufiger in Anspruch. «Meine Kinder sagen: Die Ausrede Bischof gilt jetzt nicht mehr», sagt July. Sein Plan, im Ruhestand Italienisch zu lernen, verwirklicht sich nur schleppend, doch bis heute trainiert er die Sprache ein paar Minuten pro Tag mit einer App auf seinem Handy.
Auch sein Wunsch, Kochkünste zu erwerben, ist nicht weit gediehen. «Ich habe wenigstens schon mal ein Brot gebacken», schmunzelt er.
Gewöhnungsbedürftig war für ihn, von der Position im kirchlichen Mittelpunkt abrupt in eine Randposition zu wechseln. Es habe ihn überrascht, wie schnell man vom Informationsfluss abgeschnitten sei, sagt er. Ihn fordert es heraus, neu über eine Gewissheit nachzudenken, die er im Amt häufig gepredigt hatte: Dass jeder Mensch von Gott angenommen ist, egal in welcher Lebenssituation er sich befindet.