Gesetzlicher Mindesturlaub bleibt bei Langzeiterkrankten bestehen
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Schild am Bundesarbeitsgericht

Eine Arbeitsunfähigkeit belastet nicht nur die erkrankten Arbeitnehmer, sondern auch die betrieblichen Belange des Arbeitgebers. Daher dürfen Tarifverträge den tariflichen Mehrurlaub bei einer Erkrankung von länger als einem Jahr ausschließen, urteilte das Bundesarbeitsgericht.

Erfurt (epd). Besonders lang erkrankte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können ihren tariflichen Mehrurlaub verlieren. Sieht ein Tarifvertrag vor, dass die Mitarbeiter bei einer länger als ein Jahr dauernden Erkrankung keinen Anspruch auf ihren Mehrurlaub haben, verstößt dies weder gegen den Gleichheitssatz noch ist solch eine Regelung für behinderte Beschäftigte diskriminierend und damit unwirksam, entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt in einem am 2. September veröffentlichten Urteil.

Geklagt hatte ein mit einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellter Arbeitnehmer. Für ihn galt der Manteltarifvertrag für die Beschäftigten der Metall- und Elektroindustrie des Saarlands vom 31. März 2021. Demnach besteht bei einer zwölfmonatigen ununterbrochenen Beschäftigungszeit ein Urlaubsanspruch von insgesamt 30 Tagen.

Kein Anspruch ab gewisser Schwelle

Kein Urlaubsanspruch besteht, wenn der Arbeitnehmer an weniger als drei Viertel der nach der jeweiligen betrieblichen Arbeitszeiteinteilung anfallenden Arbeitstage im Kalendermonat gearbeitet hat. Zeiten der Arbeitsunfähigkeit infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Krankheit werden aber „wie wirklich geleistete Arbeitsstunden“ angesehen, „wenn sie auf eine ununterbrochene Dauer von einem Jahr beschränkt“ bleiben, so der Tarifvertrag.

Nachdem der Kläger vom 17. März 2020 bis zum 16. Mai 2021 und damit länger als ein Jahr arbeitsunfähig erkrankt war, gewährte ihm der Arbeitgeber mit Verweis auf die tarifliche Regelung für 2021 nur den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Tagen.

Der Kläger verlangte drei weitere Tage seines tariflichen Mehrurlaubs. Die tarifliche Regelung, nach der der Mehrurlaub bei einer länger als ein Jahr dauernden Erkrankung wegfalle, verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz und sei unwirksam. Sie benachteilige ihn im Vergleich zu Beschäftigten, die weniger als ein Jahr arbeitsunfähig erkrankt seien. Auch würden mit der Tarifnorm behinderte Menschen mittelbar diskriminiert. Denn diese seien häufiger und länger krank und daher vom Ausschluss des tariflichen Mehrurlaubs besonders betroffen.

Mehrurlaub von Mindestarbeitsleistung abhängig

Doch das BAG sah das anders. Während der Mindesturlaub allein vom Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses sowie der Arbeitspflicht abhänge und nicht beschränkt werden dürfe, könne der tarifliche Mehrurlaub - wie hier - von der Erbringung einer Mindestarbeitsleistung abhängig gemacht werden. Die obersten Arbeitsrichter verwiesen auf ein früheres Urteil vom 29. September 2020. Demnach sind die Tarifvertragsparteien befugt, „die Befristung und Übertragung beziehungsweise den Verfall des Mehrurlaubsanspruchs abweichend vom Bundesurlaubsgesetz festzulegen“.

So könnten in den tariflichen Regelungen sowohl die Interessen des Arbeitgebers als auch die des Arbeitnehmers berücksichtigt werden. Im aktuellen Fall urteilte das BAG, dass bei Arbeitnehmern, die länger als ein Jahr erkrankt seien, der Erholungszweck des Urlaubsanspruchs zurücktrete, während das Interesse des Arbeitgebers an einer Verringerung der betriebsorganisatorischen Belastungen mehr Gewicht erlange. Dies könne rechtfertigen, den tariflichen Mehrurlaub für länger als ein Jahr erkrankte Arbeitnehmer einzuschränken. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz liege nicht vor, da die Tarifvertragsparteien im Rahmen ihrer grundgesetzlich geschützten Tarifautonomie entsprechende Fristenregelungen treffen könnten.

Die tarifliche Regelung sei auch nicht wegen einer Benachteiligung behinderter Arbeitnehmer unwirksam. „Denn die Verknüpfung des Anspruchs auf tariflichen Mehrurlaub mit einer tatsächlichen Arbeitsleistung ist durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt, und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich“, urteilte das BAG.

Nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung

Allerdings müssen arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer bei einer „Kurzarbeit null“, wenn also die Arbeit vollständig eingestellt ist, mit einem verringerten gesetzlichen Urlaubsanspruch rechnen. Zwar bleibe der Urlaubsanspruch während einer arbeitsunfähigen Erkrankung normalerweise erhalten, so das BAG in einem weiteren Urteil vom 5. Dezember 2023. Dies gelte nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Arbeitnehmer, die wegen einer Erkrankung ihrer Arbeitspflicht nicht nachkommen können.

Während der „Kurzarbeit null“ bestehe aber keine Arbeitspflicht. Der Kläger schulde vertraglich keine Tätigkeit, auch wenn hier die Arbeitsunfähigkeit kurz vor Beginn der Kurzarbeit eingetreten sei. Es wäre eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung, wenn der Kläger wegen seiner krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit den vollen Urlaubsanspruch hätte, nicht erkrankte Kolleginnen und Kollegen in Kurzarbeit aber nicht, betonte das BAG.

Frank Leth