DRK-Leiter: "Weniger Plätze durch mangelnde Planungssicherheit"
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Joss Steinke

Der Bundestag hat in erster Lesung über eventuelle Kürzungen bei den Freiwilligendiensten beraten. Der Entwurf des Bundeshaushalts 2025 sieht im Vergleich zu 2024 für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) und den Bundesfreiwilligendienst (BFD) weniger Geld vor. Joß Steinke, Bereichsleiter Jugend und Wohlfahrtspflege des Bundesverbands des Deutschen Roten Kreuzes, schildert dem Evangelischen Pressedienst (epd), vor welche Probleme die Kürzungen die Freiwilligendienste stellen würden.

Berlin (epd). Welche Auswirkungen auf die Zahl der FSJ- und BFD-Plätze die geplanten Kürzungen haben werden, ist nach den Worten Joß Steinkes noch nicht klar. Sicher sei nur: Es werden große Auswirkungen sein, und teilweise sind sie bereits spürbar. Der Bereichsleiter sagt zugleich, dass eigentlich Investitionen in diesem Bereich notwendig wären, und skizziert, wie sich der Freiwilligendienst entwickeln könnte. Die Fragen stellte Nils Sandrisser.

epd: Herr Steinke, im Bundeshaushalt drohen dem FSJ ein Minus von 14 Prozent und dem BFD eines von 11 Prozent. Insgesamt wären das 40 Millionen Euro weniger. Was würde das für die Freiwilligendienste bedeuten?

Joß Steinke: Das Geld wird uns natürlich fehlen. Die Freiwilligendienste sind sehr komplex organisiert und aus verschiedenen Töpfen finanziert, deswegen kann man so einfach gar nicht sagen, wie sich die Kürzung auf die angebotenen Plätze auswirkt. Wir haben auf Basis einer Studie der Bertelsmann Stiftung den Anteil der Finanzierung des Bundes an den Kosten über beide Freiwilligendienste hinweg auf zwölf Prozent taxiert. Was wir sagen können, ist, dass wir weniger Plätze anbieten werden können als in den Vorjahren. Sehr wahrscheinlich in höherem Umfang als die 14-Prozent-Budgetkürzung. Und dass mit hoher Wahrscheinlichkeit Personal bei den Trägern abgebaut wird. Zu bedenken sind auch die erheblichen Kostensteigerungen der vergangenen Jahre. Das Budget müsste also für eine gleichbleibende Anzahl von Stellen steigen. Beim BFD kommt noch das Problem der Überjährigkeit hinzu.

epd: Was ist das?

Steinke: Überjährigkeit heißt, dass wir mit den Freiwilligen Verträge nicht von Januar bis Dezember schließen, sondern meist von August oder September in das nächste Jahr hinein. Die Mittel für den BFD für das kommende Jahr sind zwar von der Bundesregierung vorgesehen, aber die sogenannten Verpflichtungsermächtigungen liegen noch nicht in ausreichendem Umfang vor. Wir können also kaum zwölfmonatige Verträge und allein wegen dieser mangelnden Planungssicherheit weniger Plätze anbieten.

epd: Werden denn aktuell schon Stellen gekürzt?

Steinke: Davon ist auszugehen. Ich weiß, dass einige Träger Personal abbauen müssen.

epd: Was genau bringt Ihnen FSJ und BFD? Ist es die Arbeitskraft der jungen Leute?

Steinke: Die Freiwilligen sind natürlich eine Unterstützung vor Ort, wobei sie selbst Unterstützung von Hauptamtlichen brauchen. Da kommt schließlich keine fertig ausgebildete Person, die man einfach losschicken kann. In erster Linie sollen die Freiwilligen etwas lernen und Erfahrungen sammeln, aber natürlich helfen sie auch bei unserer Arbeit. Das ist ja nicht falsch, und sonst würde der Dienst ja keine Freude machen. Aber dafür gibt es richtigerweise einen engen Rahmen, den wir selbstverständlich beachten. Was ich allerdings auch sage, ist, dass es in Zeiten des Arbeitskräftemangels, der in den sozialen Diensten und Einrichtungen schon sehr stark spürbar ist, zunehmend schwierig ist, die jungen Menschen zu betreuen. Und es ist schon so, dass immer mehr Freiwillige in unterbesetzte Stationen oder Einrichtungen gelangen. Die zunehmende Belastung durch fehlendes Personal spüren alle, die mithelfen. Und da müssen wir stark hingucken. Das tun unsere Träger natürlich. Aber es muss uns allen klar sein: Das Problem des Arbeitskräftemangels löst man nicht mit Freiwilligendienstleistenden, und man sollte es auch nicht versuchen.

epd: Auch mittelfristig nicht? Es gibt ja einen gewissen Klebeeffekt, also dass junge Leute sich nach ihrem Dienst dazu entscheiden, in diesem Sektor zu bleiben. Wie viel Personal gewinnen Sie denn aus den Freiwilligendiensten pro Jahr?

Steinke: FSJ und BFD sind von uns gar nicht so sehr dazu gedacht, Personal zu gewinnen, das dann nach seinem Freiwilligendienst weiter im Rettungsdienst oder in der Pflege arbeitet. Natürlich gibt es das, dass Freiwillige sich nach ihrem Dienst entscheiden, beruflich im sozialen Sektor zu bleiben, vielleicht sogar beim DRK. Oder sie studieren Medizin oder soziale Arbeit. Darüber freuen wir uns dann natürlich, aber ich kann nicht beziffern, wie viele das im Jahr sind. Wir sehen FSJ und BFD aber ohnehin mehr als Investition in die Zukunft der Gesellschaft. Junge Menschen machen während des Freiwilligendienstes Erfahrungen, die für sie selbst sehr prägend sind und die ihnen viele Fertigkeiten mitgeben. Sie bleiben einer Sache - vielleicht nicht unbedingt dem DRK, aber darum geht es auch gar nicht - oft ein Leben lang verbunden und bringen sich ein.

epd: Was genau meinen Sie damit genau? Dass ehemalige Freiwillige ein Verständnis für soziale Belange behalten und immun gegen eine Rhetorik der sozialen Kälte bleiben, auch wenn sie später mal in einer Bank oder in der Wirtschaft arbeiten?

Steinke: Ich glaube, dass die Freiwilligendienste sehr gut dazu geeignet sind, Menschen näherzubringen, sich um andere zu kümmern und sich einzubringen für die Gesellschaft. Einmal diese Erfahrungen zu machen, im sozialen Sektor mit angepackt zu haben, das ist sehr wertvoll. Es macht etwas mit den jungen Menschen, egal, wo sie später im Berufsleben landen.

epd: Es geht also um mehrere Ebenen, auf denen die Freiwilligendienste nützlich sind? Individuell für die Freiwilligen selbst, weil sie Fertigkeiten erlangen, auf einer weiteren Ebene für die sozialen Dienste, weil sie den einen oder anderen Arbeitnehmer gewinnen, und auf der Makroebene für die Gesellschaft insgesamt?

Steinke: Genau. Es stärkt natürlich auch die Resilienz der Gesellschaft, wenn junge Menschen zum Beispiel lernen, Angehörige zu pflegen. Denn der Arbeitskräftemangel oder Finanzierungsbedingungen könnten künftig dazu führen, dass soziale Dienste wieder stärker in die Familien und die Zivilgesellschaft verlagert werden.

epd: Aber wenn Dienstleistende und Gesellschaft so profitieren, wäre dann nicht ein Pflichtdienst für alle die bessere Lösung als ein Freiwilligendienst für nur einige?

Steinke: Einen Wehr- und Zivildienst wie früher sehe ich organisatorisch nicht. Es fehlen Strukturen und Personal, um eine Musterung von mehr als 700.000 jungen Menschen im Jahr zu bewältigen. Ich würde mich da ansonsten nicht auf eine Pro-und-Kontra-Diskussion einlassen. Interessant ist aber natürlich, was hinter der Debatte um einen Pflichtdienst steckt. Nämlich die reale Sorge, dass Menschen stärker dazu bewegt werden müssen, Sorge und Pflege wieder selbst in die Hand zu nehmen. Denn das Niveau an sozialen Leistungen, an das wir uns alle gewöhnt haben, wird allein angesichts des Arbeitskräftemangels absehbar nicht mehr aufrechterhalten werden können. Und dazu gibt es einige Überlegungen.

epd: Welche?

Steinke: Dass man zum Beispiel allen Schulabgängerinnen und -abgängern einen Brief schreibt und ihnen ein Angebot macht. Dann würden sich viele mit dem Freiwilligendienst auseinandersetzen und sich informieren. Wir als DRK können uns vorstellen, Peer-to-Peer-Beratung einzubinden, also Freiwillige erzählen potenziellen Freiwilligen. Mit solchen Elementen machen wir an anderer Stelle gute Erfahrungen. Das ließe sich digital umsetzen. Und es ließe sich mit den uns bekannten Planungen des Bundesverteidigungsministeriums zusammen denken. Die Bundeswehr hätte die Möglichkeit, zu rekrutieren, und der soziale Sektor auch.

epd: Wenn mehr Menschen Freiwilligendienste leisten würden, würde das aber auch mehr kosten. Haben Sie schon ausgerechnet, wie viel das wäre? Denn immerhin reden wir ja gerade über Kürzungen.

Steinke: Die Kosten hängen davon ab, wie erfolgreich solche Aktionen wären. Gehen wir davon aus: Alle werden angeschrieben, alle müssen sich bei unterschiedlichen Stellen informieren, also auch bei der Bundeswehr zum Beispiel. Und dann wäre da noch die Frage, wie hoch die Vergütung wäre. Wenn man ein Freiwilligengeld schaffen und dafür den Bafög-Satz anwenden würde, was aus unserer Sicht nötig ist, würde das die Attraktivität deutlich erhöhen. Wir beim DRK gehen für diesen Fall von 400.000 Freiwilligen pro Jahr aus. Das ganze System würde dann rund vier Milliarden Euro kosten. Andere Stellen rechnen mit 200.000 Freiwilligen pro Jahr und 2,7 Milliarden Euro.

Wir sind mit den Freiwilligendiensten an einem Punkt, an dem man sagen müsste, dass wir hier ein gutes System geschaffen haben, das für junge Menschen attraktiv ist, das sich für die Gesellschaft lohnt. Nun müsste man eigentlich überlegen, wie man in dieses System investiert. Das wird in diesem Haushalt nicht möglich sein. Aber wenn wir das System mit seinen Beschränkungen so weiterfahren, dann könnte es irgendwann kaputtgehen. Das ist keine Frage von zehn Prozent mehr oder weniger Geld in einem Jahr.