Diakonische Dienstgeber: Sozialpolitik muss mutiger werden
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Ingo Dreyer

Ein Jahr nach dem Start der gesetzlichen Pflegeversicherung wurde der Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD) ins Leben gerufen. Und maßgeblich geprägt von Hauptgeschäftsführer Ingo Dreyer, der jetzt im Ruhestand ist. Im Gastbeitrag für epd sozial zieht er Bilanz seiner Arbeit und richtet den Blick in die Zukunft.

Als der VdDD gegründet wurde, war die Pflegereform gerade ein Jahr alt. Fast 30 Jahre später braucht das System eine Generalüberholung. Der demografische Wandel mit dem damit einhergehenden Personalmangel bei einer gleichzeitig steigenden Zahl an Pflegebedürftigen erfordert kreative Ideen, wie die Pflege im Alter künftig organisiert und finanziert werden soll.

Unsere diakonischen Unternehmen testen neue Modelle aus, fördern beispielsweise die Verzahnung unterschiedlicher Angebote im Quartier. Doch die Rahmenbedingungen stellen sie immer wieder vor Herausforderungen. Die starre Unterscheidung zwischen ambulant und stationär muss überwunden werden. Personalbemessungsgrenzen müssen flexibler werden, damit Pflegeheime nicht aufgrund von Quoten auf teure Leiharbeiter zurückgreifen müssen und so möglicherweise in die Insolvenz rutschen.

Und: Anerkennungsverfahren für ausländische Bildungsabschlüsse sollten beschleunigt und mit Integrationsangeboten verknüpft werden, damit mehr dringend benötigte Arbeitskräfte aus dem Ausland hier Fuß fassen können und diejenigen, die schon hier sind, eine Beschäftigung aufnehmen. Es braucht Mut zu Reformen, zu Pragmatismus und neuen Lösungen.

Mut zur Innovation

Digitale Lösungen können medizinisches Personal und Pflegekräfte von Dokumentationspflichten entlasten. Doch um die Digitalisierung voranzubringen, wird Zeit und Geld benötigt - beides ist in Unternehmen der Sozialwirtschaft wie denen der Diakonie Mangelware. Es ist insofern beeindruckend, was die Mitgliedsunternehmen des VdDD bereits leisten, um digitale Möglichkeiten und künstliche Intelligenz auszutesten und zu implementieren.

Als Verband fördern wir den Austausch und die Weiterbildung auf diesem wichtigen Feld, um diakonische Unternehmen darin zu bestärken, diesen Weg weiter zugehen. Darüber hinaus bräuchte es aber auch den politischen Mut für ein Investitionsprogramm in digitale Innovationen. Denn es braucht dauerhafte Lösungen, die von Bürotätigkeiten entlasten und mehr Zeit für menschliche Zuwendung geben.

Mut zur Nachhaltigkeit

Dass der Staat Auflagen für eine nachhaltige Unternehmensführung macht, gemeinnützige Sozialunternehmen bei der Umsetzung aber quasi alleine gelassen werden, ist aus unserer Sicht ein Skandal. Als Verband versuchen wir, diesem Dilemma zu begegnen, indem wir den Austausch untereinander fördern und Best-Practice-Modelle vorstellen. Doch politische Nachbesserungen bei der Refinanzierung von nachhaltigen Maßnahmen sind dringend nötig. Die Sozialwirtschaft bietet ein großes Potenzial, um das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen - doch dafür braucht es dringend die erforderlichen Investitionen der Kostenträger.

Mut zur Familie

Die Konzepte zur „Aktivierung des zusätzlichen Erwerbspotenzials“ - womit meist Frauen und mitunter Rentnerinnen und Rentner gemeint sind - greifen zu kurz. Um langfristig eine Kehrtwende beim demografischen Negativtrend einzuleiten, braucht es vor allem einen Mentalitätswandel, der wieder Lust macht auf ein Leben mit Kindern. In der Gestaltung der kirchlich-diakonischen Tarife tragen wir dem Rechnung, etwa durch die Kinder- beziehungsweise Familienzuschläge. Darüber hinaus ermöglichen viele unserer diakonischen Einrichtungen flexible Arbeitszeitmodelle und den leichteren Wechsel zwischen Voll- und Teilzeitarbeit, den sich viele Mitarbeitende wünschen.

Mut zu flexiblen Tarifmodellen

Die Entwicklungen, die wir als Verband seit unserer Gründung bis heute mitbegleiten und -gestalten konnten, können sich sehen lassen - das belegen auch unabhängige Gehaltsvergleiche. Die Diakonie zahlt die besten Tarifgehälter in der Sozialwirtschaft. Die Reform der Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie im Jahr 2007 war dabei ein Meilenstein: Schematische Gehaltsaufstiege durch Zeitabläufe wurden relativiert und stattdessen Einstiegsgehälter erhöht, was das Arbeiten in der Diakonie besonders auch für junge Arbeitskräfte attraktiver macht. Der Fokus auf die Eingruppierung nach der tatsächlich ausgeübten Aufgabe ist zudem fairer.

Darüber hinaus investiert jeder diakonische Arbeitgeber in die betriebliche Altersvorsorge seiner Mitarbeitenden. Doch auch hier sind angesichts der demografischen Entwicklung mutige Reformen nötig, um das System flexibler und zukunftsfest gestalten zu können.

Mut zum „Dritten Weg“

Und nicht zuletzt braucht es den Mut zum „Dritten Weg“ im Arbeitsrecht, gerade in der Daseinsvorsorge. Dass Gewerkschaften quasi grenzenlos Kitas oder den öffentlichen Personennahverkehr bestreiken können, wirft Fragen auf: Wo ist die Verhältnismäßigkeit zwischen den Vorteilen, die für die Beschäftigten erstritten werden sollen, und den Nachteilen, die viele andere dafür in Kauf nehmen müssen?

Kirche und Diakonie leben vor, dass es auch anders geht: Mit einem partnerschaftlichen System, in dem Vertreter der Dienstnehmer und Dienstgeber um Kompromisse ringen und bei Uneinigkeit eine unabhängige verbindliche Schlichtung anrufen. Die kirchlichen Sozialpartner halten bisher die Balance im Dreiklang von Mitarbeitendeninteressen, wirtschaftlicher Solidität der Einrichtungen und der absoluten Achtung der Klienteninteressen. So funktioniert eine moderne, flexible Personalwirtschaft - denn sie fördert eine konstruktive Konfliktkultur mit einem Blick für das große Ganze. Und: Das kirchliche Arbeitsrecht gewährleistet betriebliche Mitbestimmung und eine hohe Tarifbindung - ein echter Gewinn auch für die Dienstnehmer.

Ingo Dreyer war 25 Jahre lang Hauptgeschäftsführer des Verbands diakonischer Dienstgeber in Deutschland (VdDD).