
Patienten müssen für eine vollstationäre Therapie nicht zwingend den ganzen Tag in der Klinik sein. Ein Krankenhaus könne eine vollstationäre Vergütung verlangen, wenn ein psychisch Kranker auswärtige Belastungserprobungen durchführt, urteilte das Bundessozialgericht.
Kassel (epd). Krankenhäuser verdienen vor allem mit der vollstationären Behandlung von Patienten ihr Geld. Für solch eine vollstationäre Behandlung müssen Patienten aber nicht zwingend die ganze Zeit in einem Krankenhaus bleiben, urteilte das Bundessozialgericht (BSG) am 3. April. Gehöre es bei psychisch kranken Patienten zur Therapie, dass sie zeitweise außerhalb der Klinik ihre Belastung im Alltag erproben sollen, darf die gesetzliche Krankenkasse deshalb nicht die Vergütung für eine vollstationäre Behandlung verweigern, so die Kasseler Richter.
Erprobungen im Alltag
Die Klägerin, die Trägerin der Heinrich Sengelmann Kliniken in Bargfeld-Stegen im Landkreis Stormarn, hatte von der Hanseatischen Krankenkassen die Vergütung für eine vollstationär aufgenommene Borderline-Patienten verlangt. Die Frau wurde wegen ihrer schweren Persönlichkeitsstörung für 72 Tage stationär aufgenommen. Zur Therapie ihrer Erkrankung gehörte auch eine sogenannte Belastungserprobung. Dabei sollte die Patientin in der Klinik erlernte Techniken, wie sie mit ihrer Störung im Alltag umgehen kann, außerhalb des Krankenhauses anwenden. Solche Belastungserprobungen werden auch bei anderen Krankheitsbildern angewandt, etwa bei Schizophrenie oder Depressionen.
Die Krankenkasse wollte die Krankenhausrechnung von zuletzt 22.026 Euro nicht bezahlen. Es habe keine vollstationäre Behandlung vorgelegen, da die Patientin sich an 35 Tagen außerhalb der Klinik aufgehalten habe. Die Therapie hätte allenfalls teilstationär durchgeführt werden können, wobei sich die Frau an Wochenenden zu Hause aufhalten könne. Zudem basiere das angewandte Behandlungskonzept der Dialektisch-Behavioralen Therapie (DBT) auf ambulanten Behandlungen.
Der Krankenhausträger wies darauf hin, dass die Belastungserprobung Teil des vollstationären Klinikaufenthaltes gewesen sei. Die Patientin habe in der Klinik übernachtet. Während der Erprobung, die in der Regel nachmittags stattfand, sei sie engmaschig therapeutisch begleitet worden. So habe sie jederzeit in das Krankenhaus zurückkehren oder die Therapeuten anrufen können.
Voraussetzungen müssen gegeben sein
Das BSG urteilte, dass die Versicherte in der Klinik im Rahmen eines multimodalen und multiprofessionellen Therapieansatzes vollstationär behandelt worden sei. Für eine vollstationäre Behandlung müsse ein Patient nicht die ganze Zeit in der Klinik sein. Gehöre es zum Therapieplan - wie hier die Belastungserprobung -, dass ein Teil der medizinisch erforderlichen Behandlung auch außerhalb der Klinik stattfinde, müsse dies möglich sein.
Voraussetzung sei, dass eine „enge räumliche und funktionelle Anbindung an das Krankenhaus während der gesamten Behandlung durchgehend erhalten bleibt“. Der Behandlungsplan müsse einen stetigen Wechsel von Behandlungen im Krankenhaus und engmaschig therapeutisch begleiteten auswärtigen Belastungserprobungen vorsehen. Die Rückkehr in das Krankenhaus müsse jederzeit möglich sein. Auch müsse ein Klinikbett freigehalten werden. All dies habe hier vorgelegen, so das BSG.
Behandlungsintensität ist entscheidend
Am 30. August 2023 urteilten die obersten Sozialrichter, dass Krankenhäuser auch eine 60-minütige Notfallbehandlung als ganzen vollstationären Behandlungstag abrechnen können. Voraussetzung hierfür sei, dass während der kurzen stationären Notfallbehandlung die Klinikmittel intensiv genutzt werden, die ambulant regelmäßig nicht in gleicher Weise verfügbar sind.
Im Streitfall sprach das BSG den Kreiskliniken Gummersbach-Waldbröl 1.086 Euro als Vergütung für einen vollstationären Behandlungstag zu. Das Krankenhaus hatte einen Patienten mit Schlaganfallverdacht notfallmäßig aufgenommen und in der Schlaganfallstation umfassend mit einer Computertomografie und einem EKG untersucht und ihn medikamentös behandelt. Nach 60 Minuten wurde er in ein anderes Krankenhaus verlegt.
Der Vergütungsanspruch für eine vollstationäre Behandlung bestehe, wenn mit hoher Intensität die besonderen personellen und sachlichen Mittel im erstaufnehmenden Krankenhaus genutzt wurden, erklärte das BSG. Davon sei bei der Behandlung in einem Schockraum oder auf einer Schlaganfallstation regelmäßig auszugehen.
Die Kasseler Richter hatten bereits am 19. September 2013 ebenfalls geurteilt, dass eine vollstationäre Behandlung auch dann vorliegen könne, wenn ein Patient sich weniger als 24 Stunden im Krankenhaus aufgehalten hat. Eine solche Mindestaufenthaltsdauer lasse sich weder dem Gesetz noch der bisherigen Rechtsprechung entnehmen.
Az.: B 1 KR 31/23 R (Bundessozialgericht zur Belastungserprobung)
Az.: B 1 KR 15/22 R (Bundessozialgericht zur Notfallbehandlung)
Az.: B 3 KR 34/12 R (Bundessozialgericht zur Mindestaufenthaltsdauer)