Eine ausnahmsweise erlaubte Präimplantationsdiagnostik zur Bestimmung schwerer Erbkrankheiten bei befruchteten Embryonen müssen Versicherte selbst bezahlen. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz liege nicht vor, urteilte das Landessozialgericht Essen.
Essen (epd). Die gesetzlichen Krankenkassen müssen die Kosten für eine ausnahmsweise erlaubte Präimplantationsdiagnostik (PID) zur Erkennung schwerer Erbkrankheiten nicht erstatten. Auch wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine Leistungspflicht der Krankenkasse für vorgeburtliche Bluttests zur Erkennung bestimmter Fehlbildungen vorgesehen hat, ist die bei einer künstlichen Befruchtung durchgeführte PID damit nicht vergleichbar, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in einem am 25. November veröffentlichten Urteil. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung liege damit nicht vor, befanden die Essener Richter.
Die Klägerin und ihr Ehemann sind Überträger der spinalen Muskelatrophie (SMA). Diese Erbkrankheit ist durch eine angeborene und fortschreitend verlaufende Muskelschwäche sowie Muskelschwund gekennzeichnet. Die Frau wurde 2016 nach einer künstlichen Befruchtung Mutter eines an der SMA erkrankten Kindes.
Wunsch nach zweitem, gesundem Kind
Das Paar wollte ein weiteres Kind. Im Rahmen einer künstlichen Befruchtung sollte daher eine PID vorgenommen werden. Dabei werden nur gesunde Embryonen ausgewählt und in die Gebärmutter der Frau eingesetzt.
Nach dem Embryonenschutzgesetz ist die PID in Deutschland jedoch grundsätzlich verboten. Ausnahmen von dem Verbot sind nur möglich, wenn aufgrund einer genetischen Veranlagung für die Nachkommen das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit besteht oder wenn die Schwangerschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen würde.
Der PID muss zuvor eine Ethikkommission zustimmen. Das hatte am 2. Dezember 2020 das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig klargestellt. Bei einer „genetischen Untersuchung von Zellen eines Embryos in vitro vor seinem Transfer in die Gebärmutter“ sei die vorherige Genehmigung der zuständigen Ethikkommission Pflicht.
Gericht erweitert Zulässigkeit der PID
Am 5. November 2020 urteilten die obersten Verwaltungsrichter zudem, dass eine PID bereits dann erlaubt sein kann, wenn sich eine Erbkrankheit nicht schon in der Kindheit erheblich auswirkt. Zulässig sei die PID bei schweren und schlecht behandelbaren Krankheiten mit verringerter Lebenserwartung. Wann das der Fall sei, müsse „in jedem Einzelfall gesondert“ entschieden werden, so das Gericht.
Im aktuellen, vom LSG entschiedenen Fall hatte die Ethikkommission der PID bei der Klägerin zugestimmt. Nach einer künstlichen Befruchtung wurde die Frau Mutter eines weiteren, diesmal gesunden Kindes. Von ihrer Krankenkasse verlangte sie die Kostenerstattung für die PID, die 11.560 Euro gekostet habe.
Dem Kostenerstattungsanspruch stand allerdings ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 18. November 2014 entgegen. Danach ist die PID generell keine Kassenleistung. Sie diene nicht der Krankenbehandlung, sondern der „Verwerfung“ erkrankter Embryonen. Ziel sei die „Vermeidung zukünftigen Leidens eines eigenständigen Lebewesens, nicht aber der Behandlung eines vorhandenen Leidens“.
Klägerin sah Gleichheitsgrundsatz verletzt
Die Klägerin meinte jedoch, dass sich mittlerweile die Situation geändert habe. So habe der G-BA eine Leistungspflicht der Krankenkassen für nicht invasive Pränataltests (NIPT) bei den Trisomien 13 (Pätau-Syndrom), 18 (Edwards-Syndrom) und 21 (Downsyndrom) vorgesehen. Aus ihrer Sicht stelle es eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar, wenn ein nicht invasiver Pränataltest in Form eines Bluttests von der Kasse bezahlt werde, eine PID bei ihr aber nicht.
Doch das LSG urteilte, dass die Klägerin keinen Kostenerstattungsanspruch für die PID hat. Zum einen stelle die PID keine Krankenbehandlung der Versicherten dar. Auch wenn sie Überträgerin der SMA sei, sei sie selbst nicht als krank anzusehen. Mit der PID werde bei ihr auch keine Funktionsbeeinträchtigung erkannt, geheilt, gelindert oder ihre Verschlimmerung verhütet, so die Begründung des Gerichts.
Gericht: Unterschiedliche Sachverhalte
Zum anderen liege auch keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vor, selbst wenn die Krankenkassen unter bestimmten Voraussetzungen vorgeburtliche, nicht invasive Pränataltests bezahlen. Es handele sich hier um unterschiedliche Sachverhalte.
Denn bei der PID werde ein nach künstlicher Befruchtung gezeugter Embryo noch vor dem Einsetzen in die Gebärmutter auf eine Chromosomenstörung hin untersucht, um dieses dann gegebenenfalls absterben zu lassen. Die Behandlung diene „nicht der Behandlung eines vorhandenen Leidens“. Bei dem NIPT werde bei der bereits schwangeren Frau ein Bluttest durchgeführt, um eine mögliche Chromosomenstörung identifizieren zu können. Sei dies der Fall, könne die Schwangere immer noch entscheiden, ob sie das Kind austrägt.
Az.: L 10 KR 946/23 (Landessozialgericht Essen)
Az.: 3 C 6.19 (Bundesverwaltungsgericht Ethikkommission)
Az.: 3 C 12.19 (Bundesverwaltungsgericht PID schwerwiegende Erbkrankheit)
Az.: B 1 KR 19/13 (Bundessozialgericht)