Staat muss kein den Lebensunterhalt sicherndes Bafög zahlen
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Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe

Mittellose Studierende können nach dem Grundgesetz kein den Lebensunterhalt sicherndes Bafög verlangen. Denn die finanziellen Mittel des Staats sind begrenzt, sodass Studierenden auch Arbeiten zuzumuten ist, entschied das Bundesverfassungsgericht.

Karlsruhe (epd). Mittellose Studierende müssen zur Deckung ihres Lebensunterhalts mit dem erhaltenen Bafög und elterlichem Unterhalt auskommen - oder arbeiten gehen. Sie haben nach dem Grundgesetz kein Recht darauf, dass der Staat ihnen das Studium mit existenzsichernden Bafög-Leistungen ermöglicht, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am 30. Oktober veröffentlichten Beschluss.

Geklagt hatte eine Studentin aus Osnabrück gegen den Grundbedarf für Studierende im Jahr 2014 und 2015, damals 373 Euro monatlich. Dies sei in verfassungswidriger Weise zu niedrig. Zur Begründung verwies sie auf einen Vergleich mit den Hartz-IV-Leistungen für Arbeitslose, die höher seien als das Bafög. Hartz IV - das heutige Bürgergeld - kann statt Bafög vom Jobcenter dagegen nicht beansprucht werden. Nach dem Gesetz gibt es keine Grundsicherungsleistungen, wenn Studierende eine nach Bafög förderungsfähige Ausbildung durchlaufen.

Etappensieg in Leipzig

Die Studentin erzielte mit ihrer Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht noch einen Etappensieg. Die Leipziger Richter entschieden am 20. Mai 2021, dass sich aus dem Grundgesetz die Pflicht des Staats ergebe, Kindern einen gleichberechtigten Zugang zu staatlichen Ausbildungsangeboten zu ermöglichen. Dieser dürfe „nicht von den Besitzverhältnissen der Eltern abhängig“ sein. Bei Eltern mit geringem Einkommen hätten die Kinder einen Anspruch auf eine Förderung, die soziale Gegensätze hinreichend ausgleicht.

Allerdings ließen die obersten Verwaltungsrichter offen, ob die Bafög-Sätze hierfür hoch genug sind. Sie rügten vielmehr, dass die Berechnungsmethode der Bafög-Grundpauschale intransparent und damit nicht überprüfbar sei. Dies sei mit dem Recht auf chancengleiche Teilhabe nicht vereinbar. Erforderlich sei „ein nachvollziehbares Zahlenwerk“. Das Bundesverwaltungsgericht legte das Verfahren daher dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vor.

Doch das Bundesverfassungsgericht entschied, dass mittellose Studierende nach dem Grundgesetz gar keinen Anspruch auf Bafög geltend machen können. Der Staat sei zwar zur „Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“ verpflichtet. Darauf könnten sich aber „nur diejenigen berufen, die selbst nicht zur Sicherung eines menschenwürdigen Daseins in der Lage sind“. Ein Hilfeanspruch bestehe daher nicht, wenn etwa die Möglichkeit einer existenzsichernden Arbeit besteht. „Es berührt nicht die Menschenwürde, wenn stattdessen zur Vermeidung von Bedürftigkeit einer existenzsichernden Ausbildung oder beruflichen Tätigkeit nachgegangen werden muss“, heißt es in dem Beschluss.

Ausbildungsförderung nach Kassenlage

Die Karlsruher Richter verwiesen zudem auf die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse. Dem Staat stünden nur begrenzte finanzielle Mittel zur Verfügung. Zwar seien Leistungen wie das Bafög „von erheblicher Bedeutung für einen chancengleichen Zugang zu Ausbildung und Beruf“. Der hier bestehende Spielraum des Gesetzgebers wäre aber erst dann überschritten, wenn „wegen völlig unzureichender Maßnahmen zur Förderung der sozialen Durchlässigkeit (…) ganze Bevölkerungsgruppen faktisch von vornherein keine Chance auf Zugang zu bestimmten Ausbildungs- und Berufsfeldern hätten.“ Das sei derzeit aber nicht der Fall.

Bereits am 6. September 2007 hatte das Bundessozialgericht in einem Grundsatzurteil keine Bedenken gegen die gesetzlichen Bestimmungen geäußert, dass im Fall einer Bafög-förderungsfähigen Ausbildung kein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen besteht. Eine „verfassungswidrige Benachteiligung von Studenten durch den Ausschluss von den Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II“, sei nicht zu erkennen. Denn es handele „sich um eine vom Auszubildenden selbst zu verantwortende Entscheidung“, wenn ein Student ein Studium betreiben möchte.

Anspruch auf Bafög ist altersabhängig

Bekommen Menschen im Rentenalter noch mal Lust auf die Uni, haben sie regelmäßig keinen Anspruch auf Bafög, wie das Bundesverwaltungsgericht zudem in einem am 10. Dezember 2021 verkündeten Urteil klarstellte. Nach den gesetzlichen Bestimmungen bestand für den Bafög-Anspruch eine Altersgrenze von 30 Jahren bei Beginn der Ausbildung (seit August 2022 45 Jahre). Eine Ausnahme besteht aber, wenn Betroffene die Zugangsberechtigung für die Ausbildung im zweiten Bildungsweg erworben haben und danach die Ausbildung „unverzüglich“ beginnen.

Das bedeute aber nicht, dass ein Anspruch auf Bafög endlos besteht, urteilte das Bundesverwaltungsgericht. Nach Zweck und Entstehung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes habe der Gesetzgeber nicht gewollt, dass die Förderung „völlig altersunabhängig“ gewährt wird. Denn es sei davon auszugehen, dass im Rentenalter keine neue Berufstätigkeit mehr aufgenommen werde.

Az.: 1 BvL 9/21 (Bundesverfassungsgericht)

Az.: 5 C 11.18 (Bundesverwaltungsgericht zum Bedarfssatz)

Az.: B 14/7b AS 36/06 R (Bundessozialgericht)

Az.: 5 C 8.20 (Bundesverwaltungsgericht zur Ausbildungsförderung im Rentenalter)

Frank Leth