Kein Geld für Pflegedienst nach Intensivpflege in Pflege-WG
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Justitia auf dem Römerberg in Frankfurt am Main

Gescheitert im Streit über 42.000 Euro Pflegekosten: Nach dem Tod einer Pflegebedürftigen, die in einer Pflege-WG lebte, sieht der ambulante Pflegedienst kein Geld für offene Pflegekosten. Er kann Ansprüche der verstorbenen Klägerin auf „Hilfe zur Pflege“ nicht selbst geltend machen. Das hat das Landessozialgericht Essen entschieden.

Essen (epd). Ambulante Pflegedienste können beim Tod eines in einer Pflege-Wohngemeinschaft lebenden Pflegebedürftigen nicht auf die Übernahme offener Pflegekosten durch den Sozialhilfeträger vertrauen. Hatte die Verstorbene zu Lebzeiten gegenüber dem Sozialhilfeträger Ansprüche auf Hilfe zur Pflege mit einer Klage geltend gemacht, handelt es sich um „Ansprüche höchstpersönlicher Natur“, sodass der Pflegedienst diese im Todesfall nicht gerichtlich einfordern kann, entschied das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in einem am 20. Februar bekannt gegebenen Urteil.

Die von den Essener Richtern zugelassene Revision zum Bundessozialgericht (BSG) in Kassel wurde vom Pflegedienst inzwischen eingelegt (Az.: B 8 SO 1/25 R).

Kind starb im September 2021

Anlass des Rechtsstreits war die Klage eines im Juni 2010 geborenen, schwerstpflegebedürftigen Kindes aus Remscheid. Vom 15. Mai bis 26. Juli 2018 lebte es in einer Wohngruppe der Evangelischen Stiftung Volmarstein. Die Kosten hierfür trug der Landschaftsverband Rheinland. Nach einer Reanimation kam das Kind zunächst auf die Palliativstation eines Krankenhauses. Seit Oktober 2018 lebte es in einer Pflege-WG. Der Vermieter stellt in Nordrhein-Westfalen Räumlichkeiten für rund 25 Pflege-WGs zur Verfügung.

Ein nicht mit dem Vermieter identischer ambulanter Pflegedienst erbringt in den Pflege-WGs die notwendige ambulante Intensivpflege - und im Streitfall auch für das schwerstpflegebedürftige, mittellose Kind. Nachdem die Stadt Remscheid als zuständiger Sozialhilfeträger einen Teil der seit Oktober 2018 angefallenen Pflegekosten nicht übernehmen wollte, legte der Vormund für das Kind Klage vor dem Sozialgericht Düsseldorf ein. Als das Kind im September 2021 starb, erklärte der Pflegedienst, das Verfahren als Sonderrechtsnachfolger fortzuführen. Ihm stünden noch rund 42.000 Euro an offenen Pflegekosten zu, hieß es.

Pflegedienst kann Kosten nicht selbst geltend machen

Doch die Klage hatte weder vor dem Sozialgericht noch vor dem LSG Erfolg. Der ambulante Pflegedienst könne Ansprüche der verstorbenen Klägerin auf „Hilfe zur Pflege“ nicht selbst geltend machen. Denn diese seien „höchstpersönlicher Natur“, so das LSG. Um diese geltend machen zu können, brauche es einer „ausdrücklichen gesetzlichen Regelung“. Für einen gesetzlichen Anspruchsübergang komme allenfalls Paragraf 19 im Sozialgesetzbuch XII in Betracht.

Nach dieser Vorschrift könne nach dem Tod eines Pflegebedürftigen derjenige Ansprüche geltend machen, der „Leistungen für Einrichtungen“ erbracht habe. Der klagende ambulante Pflegedienst habe aber keine „Leistungen für Einrichtungen“ erbracht. So werde im Gesetz zwischen „Leistungen außerhalb von Einrichtungen“ (ambulante Leistungen) und Leistungen in teilstationären oder stationären Einrichtungen unterschieden.

Wesentliches Merkmal einer „Einrichtung“ sei „die räumliche Bindung an ein Gebäude“, so das LSG. Der klagende ambulante Pflegedienst weise aber keine Bindung an ein Gebäude auf, sondern erbringe ambulante Pflegeleistungen in einer Vielzahl an Wohngemeinschaften von Pflegebedürftigen.

Wohngemeinschaft ist keine „Einrichtung“

Der Kläger bleibe ein ambulanter Pflegedienst, auch wenn er mit einer anderen juristischen Person - dem Vermieter der Pflege-WGs - faktisch zusammenarbeitet. Es könne im vorliegenden Fall auch dahinstehen, ob eine Wohngemeinschaft als „Einrichtung“ angesehen werden könne. Denn der ambulante Pflegedienst habe die Pflege-WG schon gar nicht selbst zur Verfügung gestellt, sondern der Vermieter der Räumlichkeiten als eigene juristische Person.

Letztlich, so das Gericht, habe der Pflegedienst nur ambulante Intensivpflege gewährleistet. Der Übergang der Ansprüche der Verstorbenen sei nach dem Willen des Gesetzgebers damit ausgeschlossen. Der habe sich bislang auch nicht veranlasst gesehen, die gesetzlichen Bestimmungen zugunsten ambulanter Pflegedienste zu ändern.

Kein Verstoß gegen Gleichheitsgrundsatz

Dass „Einrichtungen“ nach dem Tod eines Pflegebedürftigen Ansprüche aus noch offenen erbrachten Pflegeleistungen geltend machen können, ambulante Pflegedienste aber nicht, verstoße auch nicht gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz, so das Gericht. Für die unterschiedliche Behandlung gebe es einen sachlichen Grund. Denn stationäre Einrichtungen hätten regelmäßig ein viel höheres Kostenrisiko für den Ausfall von Leistungen als Pflegedienste, sodass diese „besonders schutzwürdig“ seien.

So müssten stationäre Einrichtungen das Leerstands- und Instandhaltungsrisiko tragen, während ambulante Pflegedienste bei einer Verringerung der Zahl nachfragender Pflegebedürftiger jederzeit die Zahl der von ihr pflegerisch betreuten Wohngemeinschaften verringern kann, stellte das LSG klar.

Az.: L 20 SO 362/22

Frank Leth