Jobcenter muss anmietbaren Wohnraum nachweisen
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Mietvertrag

Bürgergeldbezieher müssen eine „realistische Chance“ auf Anmietung einer angemessenen Unterkunft haben. Kann das Jobcenter nicht ausreichenden Wohnraum nachweisen, können sie die Erstattung der Unterkunftskosten nach dem Wohngeldgesetz verlangen, urteilte das Landessozialgericht Potsdam.

Potsdam (epd). Bürgergeldbezieherinnen und -bezieher müssen Wohnungen zu den vom Jobcenter festgelegten angemessenen Unterkunftskosten auch tatsächlich in „nennenswerter Zahl“ anmieten können. Die Behörde müsse die Verfügbarkeit von Wohnraum im jeweiligen Wohnungsmarkt nachweisen, indem sie die konkrete Anzahl der angebotenen und nachgefragten Wohnungen gegenüberstellt oder den Anteil geringverdienender Haushalte mit dem Anteil der für sie anmietbaren Wohnungen in der maximalen Größe vergleicht, entschied das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg in einem am 26. September veröffentlichten Urteil.

Gelinge dieser Nachweis nicht, könnten Grundsicherungsempfänger die in der Wohngeldtabelle angeführten Mieten plus einen Sicherheitszuschlag von zehn Prozent beanspruchen, so die Potsdamer Richter.

Kläger hielt angemessene Kosten für unrealistisch

Geklagt hatte ein in Berlin lebender Aufstocker von Hartz-IV-Leistungen, dem heutigen Bürgergeld. Der Mann bewohnte eine 63 Quadratmeter große Zweizimmerwohnung. Das Jobcenter hielt im Streitzeitraum Juli 2015 bis Juni 2016 für einen Ein-Personen-Haushalt in Berlin eine Bruttowarmmiete von monatlich 449 Euro für angemessen. Die tatsächlichen Unterkunftskosten beliefen sich jedoch auf monatlich 584,08 Euro. Das Jobcenter hatte den Mann erfolglos zur Kostensenkung aufgefordert.

Der hielt die vom Jobcenter zugrunde gelegten angemessenen Mietkosten auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt für völlig unrealistisch. Er verwies auf eine Entscheidung des BSG vom 17. September 2020, wonach das Jobcenter die angemessene Wohnungsmiete nach einem „schlüssigen Konzept“ ermitteln müsse. Zu der von der Behörde festgelegten Kostengrenze müssten angemessene Wohnungen „auch tatsächlich in nennenswerter Zahl auf dem Markt allgemein zugänglich angeboten“ werden.

LSG: Konzept der Berechnung nicht schlüssig

Das LSG hielt das Konzept, nach dem das Jobcenter die angemessene Miete ermittelt, für „nicht schlüssig“. Die Behörde könne sich daher nicht auf die von ihr ermittelte angemessene Miete als Obergrenze stützen. Der Kläger könne aber auch nicht die Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten verlangen. Ihm stehe nur die in der Wohngeldtabelle für Alleinstehende vorgesehene Miete zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von zehn Prozent zu, so das Gericht.

Die Angemessenheit der Unterkunftskosten sei in zwei Prüfungsschritten zu ermitteln. So habe das BSG in ständiger Rechtsprechung und auch am 30. Januar 2019 geurteilt, dass zunächst die abstrakt angemessenen Unterkunftskosten zu bestimmen seien. Damit müsse der als angemessen angesehene Wohnstandard, etwa bei der Wohnungsgröße, der Ausstattung und der Wohnlage, festgelegt werden. Für die so ermittelte Miete müsse der Grundsicherungsempfänger aber auch tatsächlich eine Wohnung finden können. Ist das der Fall, gelte diese abstrakte Mietpreisbremse.

Zweiter Prüfschritt nötig

In einem zweiten Schritt sei eine konkrete individuelle Angemessenheitsgrenze oberhalb des abstrakt angenommenen Mietpreises zu prüfen. So könnten Grundsicherungsempfänger etwa wegen einer Behinderung unter Umständen einen höheren Raumbedarf geltend machen.

Im jetzt entschiedenen Fall habe das Jobcenter nicht nachgewiesen, dass angemessener Wohnraum auf dem angespannten Berliner Wohnungsmarkt „in nennenswerter Zahl“ zur Verfügung stehe. Was unter „nennenswerter Zahl“ zu verstehen und wie dieses nachzuweisen sei, habe das BSG bislang aber nicht definiert, erläuterte das LSG.

„Realistische Chance“ auf Anmietung muss da sein

Eine Möglichkeit wäre, dass das Jobcenter bei der Frage, ob hinreichender bezahlbarer Wohnraum vorhanden ist, die konkrete Anzahl der angebotenen und nachgefragten Wohnungen im Streitzeitraum gegenüberstellt. Auch könnte der Anteil der geringverdienenden Haushalte, hier der Ein-Personen-Haushalte, mit den für sie anmietbaren angemessenen Wohnungen verglichen werden. Es müsse dann eine „realistische Chance“ auf Anmietung bestehen.

Diesen Nachweis habe das Jobcenter im konkreten Verfahren nicht erbracht. Trotz wiederholter Nachfragen habe die Behörde ihr Konzept zur Ermittlung der abstrakten Angemessenheitsgrenze selbst nicht erklären können, betonte das LSG. Weil die Angemessenheitsgrenze damit nicht gelte, müsse auf die Werte der Wohngeldtabelle zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von zehn Prozent zurückgegriffen werden.

Dem Kläger stehe daher ab Juli 2015 eine Bruttowarmmiete von jeweils 458,22 Euro und von Januar bis Juni 2016 von monatlich 541,82 Euro zu. Aufgrund von Gutschriften des Vermieters verringere sich der Anspruch für August 2015 auf 403,36 Euro und entfalle für den Monat November ganz.

Die vom LSG zugelassene Revision zum BSG in Kassel wurde inzwischen eingelegt. Dort ist das Verfahren unter dem Az.: B 4 AS 28/24 R anhängig.

Az.: L 14 AS 1570/20 (Landessozialgericht Potsdam)

Az.: B 4 AS 22/20 R (Bundessozialgericht, Angebot an tatsächlichem Wohnraum)

Az.: B 14 AS 24/18 R (Bundessozialgericht, Prüfschritte Angemessenheit)

Frank Leth