
Ein assistierter Suizid in der Haft ist nicht ausgeschlossen. Allerdings muss der Gefangene seinen Sterbewunsch genau begründen, damit Behörden und Gerichte prüfen können, ob ein freier und unbeeinflusster Sterbewillen vorliegt, forderte das Bundesverfassungsgericht.
Karlsruhe (epd). Ein Gefangener muss seinen Wunsch nach einem assistierten Suizid in der Haft präzise und nachvollziehbar begründen. Allein der Verweis des Gefangenen auf die Perspektivlosigkeit der Haft und auf sein Alter reichen nicht aus, um das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben durchsetzen zu können, entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in einem am 6. März veröffentlichten Beschluss. Denn Behörden und Gerichte müssten prüfen, ob der Suizidwunsch frei und unbeeinflusst gebildet worden sei und beispielsweise keine psychische Erkrankung vorliege, hieß es zur Begründung.
Im entschiedenen Fall hatte ein in der Hamburger Justizvollzugsanstalt (JVA) Fuhlsbüttel inhaftierter Mann die Verabreichung eines tödlichen Medikaments durch einen Arzt beantragt. Als Begründung führte er seine zwölfeinhalbjährige Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung und die damit einhergehende Perspektivlosigkeit an. Auch sein fortgeschrittenes Alter habe ihn in seinem Sterbewunsch bestärkt, betonte der Häftling.
Verweis auf Karlsruher Urteil aus dem Jahr 2021
Der Mann berief sich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom November 2021, wonach auch Strafgefangene grundsätzlich ein Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben haben. Im damaligen Verfahren hatte ein zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilter Mann nach 35 Jahren Haft seinem Leben ein Ende setzen wollen. Er beantragte in der JVA, dass er „auf eigene Kosten an die (…) zum Sterben notwendigen Medikamente“ kommen müsse. Resozialisierungsmaßnahmen würden ihm nicht gewährt, er sei nur noch ein „bloßes Objekt staatlichen Handelns“. Eine psychische Erkrankung habe er nicht. Seinen Entschluss zum Sterben habe er aus freiem Willen gebildet.
Die JVA, das Landgericht Kleve und dann auch das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hatten den Antrag abgelehnt. Es gebe zwar das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben. Einen Anspruch auf Aushändigung der Medikamente und damit Suizidhilfe gebe es aber nicht. Die JVA-Beamten könnten das Ansinnen aus Gewissensgründen ablehnen, befand das OLG.
Antrag des Klägers unzureichend geprüft
Die Verfassungsrichter entschieden aber seinerzeit, dass der Gefangene damit in seinem Recht auf ein faires Verfahren verletzt wurde, und verwiesen den Fall zurück. Der Anspruch auf selbstbestimmtes Sterben in der Haft sei nicht ausgeschlossen. Der Antrag des Häftlings sei unzureichend geprüft worden. Weder sei die Ernsthaftigkeit des Suizidverlangens geprüft worden, noch wie er die begehrten Medikamente erhalten kann und wie er sich den Suizid vorstellt. Inwieweit die JVA-Beamten als Amtsträger sich auf ihr Gewissen berufen können, sei nicht begründet worden.
Im aktuellen Verfahren hatte der Beschwerdeführer sich allerdings gar nicht dazu genau geäußert, wie er sich seinen assistierten Suizid vorstellt. Er wolle erst eine Entscheidung in Karlsruhe herbeiführen, hatte der Mann erklärt.
Daraufhin wiesen sowohl das Landgericht als auch das OLG Hamburg seinen Antrag ab. Gerade im Strafvollzug müsse genau geprüft werden, ob der Suizidwunsch auf einem freien Willen beruhe, so das OLG. Der Gefangene habe trotz mehrfacher Aufforderung die genauen Umstände seines Suizidwunsches nicht dargelegt.
Verfassungsbeschwerde unzulässig
Das Bundesverfassungsgericht entschied jetzt, dass die Verfassungsbeschwerde unzulässig sei. Der Gefangene habe den Rechtsweg nicht ausreichend ausgeschöpft. Dazu gehöre nicht nur, die zuständigen Fachgerichte anzurufen, sondern auch, die „maßgeblichen Tatsachen“ dort vorzutragen. Allein der Hinweis auf eine empfundene Perspektivlosigkeit der Haftsituation und ein fortgeschrittenes Alter reichten als Begründung für den Suizidwunsch nicht aus. Behörden und Gerichte müssten die Hintergründe des Sterbewunsches prüfen können, so das Gericht.
Zwar schließe das allgemeine Persönlichkeitsrecht das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben und auf einen assistierten Suizid ein. Voraussetzung sei, dass der Sterbewunsch auf freiem Willen beruhe. Inwieweit Strafvollzugsbehörden verpflichtet seien, autonome Suizidentscheidungen von Gefangenen zu achten, sei verfassungsrechtlich noch nicht entschieden.
Mit dem Grundgesetz wäre es aber wohl unvereinbar, wenn der Staat dem einzelnen Gefangenen überhaupt keinen Raum für einen Suizid ließe, so die Verfassungsrichter. Es sei bedenklich, ein Suizidverlangen pauschal abzulehnen, weil die damit befassten Anstaltsbediensteten in ihrer Gewissensfreiheit verletzt werden könnten. Allerdings sei der Staat auch zum Schutz des Lebens verpflichtet. Er müsse Suizidprävention betreiben, zumal in der Haft Risikofaktoren wie psychische Erkrankungen, Drogenmissbrauch und Gewalt bestünden, so das Karlsruher Gericht.
Az.: 2 BvR 1290/24 (assistierter Suizid Haft, 2025)
Az.: 2 BvR 828/21 (assistierter Suizid Haft, 2021)