Arbeitsschlüssel von zu Hause abholen kann unfallversichert sein
s:29:"Bundessozialgericht in Kassel";
Bundessozialgericht in Kassel

Ein Unfall auf dem Weg von einem Wochenendausflug nach Hause zum Arbeitsschlüsselholen kann unfallversichert sein. Hat der Arbeitgeber dies angewiesen, liegt ein Betriebsweg vor, und ohne Weisung das Holen eines möglicherweise versicherten Arbeitsgeräts, urteilte das Bundessozialgericht.

Kassel (epd). Von einem privaten Wochenendaufenthalt direkt den Arbeitsschlüssel von zu Hause abholen und zur Arbeit fahren kann unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel am 26. September im Fall einer evangelischen Gemeindesekretärin entschieden und damit den Unfallversicherungsschutz für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erweitert.

Im konkreten Fall ging es um einen schweren Autounfall einer Sekretärin, die in einem evangelischen Gemeindezentrum beschäftigt ist. Die Frau war an einem Wochenende privat unterwegs, als sie erfuhr, dass der Bau des Gemeindezentrums in Hamm fertiggestellt war. Da der Arbeitgeber sie ihren Angaben nach verpflichtet hatte, die Schlüssel für den Neubau bei sich zu Hause aufzubewahren, wollte sie diese und Arbeitsunterlagen aus ihrer Wohnung holen. Kurz vor Erreichen der Wohnung raste ein entgegenkommender Fahrer in suizidaler Absicht in ihren Wagen hinein. Die Frau ist infolge des Unfalls schwerbehindert, arbeitet aber wieder als Gemeindesekretärin. Den Unfall wollte sie von der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft als Arbeitsunfall anerkannt haben.

Versicherung gilt mit Weisung und möglicherweise auch ohne

Der Unfallversicherungsträger lehnte dies ab. Die Handlungstendenz der Klägerin sei zunächst privat gewesen, da sie ihren Wochenendaufenthalt habe beenden wollen. Darauf deute auch der Unfallzeitpunkt um kurz vor 9.00 Uhr morgens hin. Die Gemeindezentrumseröffnung sei erst um 11.00 Uhr gewesen, so dass die Klägerin in der Zwischenzeit noch genügend private Dinge hätte erledigen können.

Eine Klage dagegen hatte vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) keinen Erfolg. Das BSG hob das LSG-Urteil aber auf und verwies das Verfahren wegen fehlender Feststellungen zur erneuten Prüfung zurück. Es könne durchaus Versicherungsschutz vorliegen, so die obersten Sozialrichter. Habe der Arbeitgeber die Klägerin angewiesen, die Arbeitsschlüssel und -unterlagen von zu Hause abzuholen, könne sie sich auf dem Weg zu ihrer Wohnung auf einem versicherten Betriebsweg befunden haben. Ob eine solche Weisung vorgelegen habe, müsse noch geprüft werden.

Habe es keine Weisung des Arbeitgebers gegeben, könne dennoch Versicherungsschutz vorliegen, nämlich wenn die Klägerin verpflichtet gewesen sei, Arbeitsgeräte - hier den Schlüssel - zu Hause aufzubewahren. Für die Anerkennung als Arbeitsunfall müsse der Schlüssel aber für die Arbeitsaufnahme zumindest nach Ansicht der Klägerin unentbehrlich gewesen sein. Auch hierzu müsse das LSG noch Feststellungen treffen.

Es zählt der direkte Weg zur Arbeitsstätte

Nach einem weiteren Urteil des BSG vom 10. August 2021 kann ausnahmsweise sogar die Rückfahrt aus dem Urlaub unfallversichert sein. Es komme hier auf die „subjektive Handlungstendenz“ des Beschäftigten an, ob dieser direkt aus dem Urlaub zur Arbeit wollte.

Im Streitfall ging es um ein Ehepaar, das ein Autohaus betrieben hatte. Als sie im Urlaub waren, hatte ihre Tochter sie im Autohaus vertreten. Als diese kurzfristig einen Zahnarzttermin hatte, bat sie ihre Eltern, ihre geplante Rückfahrt um einige Stunden vorzuverlegen, um die Arbeit im Autohaus wieder zu übernehmen. Auf der Rückfahrt verunglückte der Ehemann jedoch tödlich.

Das BSG urteilte, dass eine Hinterbliebenenrente vom Unfallversicherungsträger für die Witwe in Betracht komme, da das Paar direkt aus dem Urlaub zur Arbeit fahren wollte. Für einen versicherten Wegeunfall bei einem vorherigen Aufenthalt an einem dritten Ort, hier der Urlaub, komme es allein darauf an, dass der Arbeitnehmer sich mindestens zwei Stunden dort aufgehalten habe und er auf direktem Weg zur Arbeitsstätte fahren wollte. Hier müsse die Vorinstanz aber noch prüfen, ob das Ehepaar als Unternehmer überhaupt unfallversichert war.

Kein Unfallversicherungsschutz besteht dagegen bei einem unterbrochenen Arbeitsweg wegen eines Lebensmittelkaufs. Werde das Auto am Fahrbahnrand des Arbeitswegs für einen Brötchenkauf beim Metzger geparkt, ist ein Unfall beim Überqueren der Straße dann eine nicht versicherte Privatangelegenheit. Erst wenn die Fahrt im Auto fortgesetzt werde, bestehe wieder Versicherungsschutz, urteilte das BSG in zwei Fällen am 31. August 2017.

Az.: B 2 U 15/22 R (Bundessozialgericht zum Fall der Gemeindesekretärin)

Az.: B 2 U 2/20 R (Bundessozialgericht zur Urlaubsrückfahrt)

Az.: B 2 U 1/16 R und B 2 U 11/16 R (Bundessozialgericht zum Lebensmittelkauf)

Frank Leth