Viele nach Deutschland Zugewanderte fühlen sich hierzulande auch nach Jahren nicht heimisch. Individuelle Einstellungen der Migranten spielen dabei eine Rolle, aber ebenso eine verbreitete Ablehnung durch die Mehrheitsgesellschaft.
Frankfurt a.M. (epd). Dem Syrer Housam Zakkour ging es wie den meisten Geflüchteten nach ihrer Ankunft in Deutschland. Er musste von Behörde zu Behörde laufen - und machte prägende Erfahrungen: Wie man hier behandelt werde, sagt er, sei entscheidend für das Gefühl, willkommen zu sein. Doch genau das habe sich bei ihm nicht eingestellt. Oft fühlte er sich auf dem Amt als Mensch zweiter Klasse.
Doch auch Leute aus seiner Nachbarschaft gingen bis heute auf Abstand zu ihm, klagt er: „Wegen meiner Hautfarbe, meinem Bart.“ Obwohl der Vorsitzende des Islamischen Kulturvereins in Jena seit mehr als zweieinhalb Jahrzehnten in Deutschland wohnt, bleibt Syrien für ihn seine Heimat.
Ablehnung von Schwimmkursen
Sechs Kinder hat der Muslim. Dass er sie nicht seinem Glauben gemäß erziehen kann, verhindere zusätzlich, dass er Deutschland als Heimat empfindet. Zakkour lehnt es ab, wie Kindern in der Schule das Schwimmen beigebracht wird. Er möchte nicht, dass Mädchen zusammen mit Jungen planschen. Auch sollen seine Kinder nicht auswärts übernachten. Regelmäßig gebe es Streit, wenn eine Klassenfahrt anstehe. Zakkour fühlt sich gezwungen, seine Kinder mitfahren zu lassen - und sieht darin Verstöße gegen die Religionsfreiheit.
Für Noa Ha vom Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung ist es problematisch, mit dem Begriff „Heimat“ zu operieren. Man solle besser darüber nachdenken, wie das Gefühl von Zugehörigkeit entstehen kann. Das gehe nicht ohne die prinzipielle Bereitschaft, Neubürger aufzunehmen. Teilhabechancen zu eröffnen, sei essenziell. „Von Gewerkschaften wissen wir, dass die Beteiligung von Migrantinnen und Migranten an Betriebsräten ein wichtiger Teil der Integration ist“, unterstreicht die Forscherin, deren Wurzeln zum Teil in Indonesien liegen. Wer eine schöne Wohnung und ein gutes Einkommen hat, wer sich akzeptiert und freundlich behandelt fühlt, werde sein Umfeld irgendwann als Heimat empfinden.
Zähe Prozesse der Integration
Integrationsprozesse ziehen sich hin. Hat jemand im Ursprungsland auf die Universität gehen können, möchte er auch in der neuen Heimat nicht nur einen Helferjob haben. Doch dieses Schicksal teilen oft syrische Flüchtlinge. Das zeigt eine aktuelle Analyse des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Demnach sind derzeit 287.000 syrische Staatsangehörige in Deutschland beschäftigt. Im Jahr nach ihrer Ankunft müssen sich noch 37 Prozent mit einer Helfertätigkeit begnügen. Nach sieben Jahren liegt die Quote noch bei 26 Prozent.
Dass wohl auch künftig Haushaltsmittel des Bundes für Integrationskurse fehlen werden, macht es Flüchtlingen noch schwerer, hier heimisch zu werden. Laut Haushaltsentwurf 2025 sollen die Ausgaben für Integrationskurse um die Hälfte auf 500 Millionen Euro gekürzt werden. 2023 stammten rund zehn Prozent aller Teilnehmer an Integrationskursen aus Syrien. Tobias Weidinger, Migrationsforscher an der Uni Erlangen, kritisiert die Kürzungen. „Sprache ist ein Schlüssel, vor allem, um Arbeit und um eine Wohnung zu finden.“
Mehr als 200.000 eingebürgerte Syrer
Die Forderung, Flüchtlinge aus Syrien auf dem schnellsten Wege wieder zurück in ihr Herkunftsland zu bringen, prangert er ebenfalls an. Viele seien schon zehn Jahre hier: „Und haben sich verwurzelt.“ Von den knapp 1,3 Millionen Menschen mit syrischer Einwanderungsgeschichte seien über 200.000 inzwischen eingebürgert.
Kein Syrer darf gezwungen werden, zurückzukehren, meint auch Agir Mustafa Birhîmeoglu, Menschenrechtler und hauptberuflicher Antirassismus-Arbeiter aus Bochum. Der 53-jährige Kurde, der mit 20 Jahren aus der Türkei einwanderte, glaubt nicht, dass allzu viele Syrer freiwillig zurückkehren werden. Obwohl sich viele, wie auch er aus seinen haupt- und ehrenamtlichen Tätigkeiten weiß, in Deutschland nicht wohlfühlen - auch nach vielen Jahren nicht. Für ihn persönlich sei Deutschland Heimat, obwohl er sich ebenfalls bis heute oft lediglich toleriert fühlt: „Man bekommt immer wieder vermittelt, doch nicht ganz dazuzugehören.“
Vorbehalte trotz Integrationswillen
Damit umzugehen, auch nach etlichen Jahren als Fremder angesehen zu werden, bleibt auch für Sékou Dabiré eine ziemliche Herausforderung. Der 52-Jährige, der aus Burkina Faso stammt, kam 2001 nach Saarbrücken, um Informatik zu studieren. „Ich fühle mich heute als Teil dieses Landes“, sagt er. Allerdings empfinde er auch Burkina Faso noch immer als seine Heimat. Was für den Syrer Zakkour ein Problem ist, bereitet Dabiré keine Kopfschmerzen. Sein Sohn und seine Tochter dürfen mit anderen Kindern schwimmen gehen, seine Tochter müsse kein Kopftuch tragen, sagt er.
Aber auch ein großer Integrationswille ändert nichts an vielfach vorhandenen Vorbehalten. Dabiré sagt, es sei nervig, immer wieder gefragt zu werden: „Woher kommen Sie?“ Und wenn er dann sage: „Aus Saarbrücken“, werde reflexhaft nachgefragt, woher er denn „eigentlich“ stamme: „Genau das zeigt, dass wir auch nach Jahren nicht als dazugehörig empfunden werden.“