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Der Sozialverband VdK begrüßt den Beschluss des Gewalthilfegesetzes. Doch damit der Schutz von Frauen wirklich besser wird, bedürfe es weiterer Schritte. Vor allem müsse die Finanzierung von mehr Frauenhäusern und Beratungsstellen geklärt werden, betont Annemarie Schoß, VdK-Referentin für Frauen- und Familienpolitik, im Interview mit epd sozial.
Berlin (epd). Annemarie Schoß sieht das neue Gesetz durchaus als wichtigen Schritt zu einem besseren Gewaltschutz an. Doch sie kritisiert, dass der Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung erst ab 2032 greift, und die Länder erst ab 2027 ein ausreichendes Netz an Hilfsangeboten zur Verfügung stellen müssen. „Für gewaltbetroffene Frauen heißt es daher, dass zunächst einmal alles so bleibt wie bisher.“ Die Fragen stellte Dirk Baas.
epd sozial: Sie begrüßen das vom Bundestag nun doch noch vor der Wahl beschlossene Gewalthilfegesetz. Doch rundum zufrieden sind Sie nicht. Warum?
Annemarie Schoß: Die Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen wird in Zukunft zwar besser, weil sich nun auch der Bund an der Finanzierung beteiligt. Aber grundsätzlich abgesichert ist die Finanzierung weiterhin nicht. Damit der neue Rechtsanspruch auf Hilfe und Schutz bei Gewalt auch wirklich greifen kann, braucht es ausreichend Plätze in Frauenhäusern und ausreichende Kapazitäten in Beratungsstellen. Für beides braucht es genug Geld.
epd: Sie sagen, es brauche ein Gesamtkonzept für den Schutz von Frauen. Zielt das darauf, dass das Gewaltschutzgesetz nicht kommt?
Schoß: Nein, damit meinen wir was anderes: Wir lehnen jede Form von Gewalt gegen Frauen ausdrücklich ab. Frauen haben ein Recht auf ein gewaltfreies Leben. Zur Verwirklichung dieses Rechts braucht es effektive Maßnahmen durch Bund, Länder und Kommunen. Diese müssen in ein Gesamtkonzept zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen eingebettet sein, das regelmäßig evaluiert und nachgebessert wird. Ein Schwerpunkt muss auf der Gewaltprävention liegen. Denn nur, wenn Gewalt wirksam verhindert wird, können Frauen gewaltfrei leben. Gewaltprävention, auf die auch das „Erste Gesetz zur Änderung des Gewaltschutzgesetzes“ abgezielt hatte, das nun aber wohl nicht mehr in Kraft treten wird, ist für uns als VdK sehr wichtig. Aber es ist nur eine Maßnahme von vielen, die nötig sind.
epd: Auch das Gewalthilfegesetz muss durch den Bundesrat. Droht da ein Scheitern oder zumindest eine Verwässerung?
Schoß: Nein. Wir gehen davon aus, dass das Gesetz den Bundesrat passieren wird. Immerhin ist nun auch die CDU mit an Bord und hat dem Gesetz im Bundestag zugestimmt.
epd: Es fehlt an Tausenden von Plätzen in Frauenhäusern. Wird das Gesetz hier eine grundlegende Verbesserung der Situation bewirken? Letztlich ist das doch eine Frage des Geldes, und das fehlt den Kommunen oft.
Schoß: Das ist richtig. Es braucht deutlich mehr Geld, damit es ausreichende Plätze in Frauenhäusern gibt. Aber das Gesetz wird dennoch etwas Gutes bewirken: Zum einen wird deutlicher, dass Bund, Länder und Kommunen alle gemeinsam für den Schutz vor Gewalt verantwortlich sind, auch finanziell. Und zum anderen wird der Rechtsanspruch auf Schutz vor Gewalt viele Frauen darin bestärken, aus einer gewaltvollen Beziehung auszusteigen. Uns ist es wichtig, dass die Frauen dabei bestmöglich unterstützt werden. Gleichzeitig muss aber natürlich auch was gegen die Gewalttäter getan werden. Ihnen muss klar werden, dass Gewalt nicht geduldet ist und Konsequenzen nach sich zieht.
epd: Das neue Gesetz gilt erst ab 2032. Geld für neue Einrichtungen gibt es erst ab 2027 vom Bund. Müsste das nicht schneller gehen angesichts von täglicher Gewalt gegen Frauen?
Schoß: Wir finden es schade, dass der Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung erst ab 2032 greift, und die Länder erst ab 2027 ein ausreichendes Netz an Hilfsangeboten zur Verfügung stellen müssen. Für gewaltbetroffene Frauen heißt es daher, dass zunächst einmal alles so bleibt wie bisher. Ab 2027 sind die Länder verpflichtet, ein ausreichendes Netz an Hilfsangeboten zur Verfügung zu stellen. Ab diesem Zeitpunkt erhalten sie Geld vom Bund. Ab 2032 gilt dann der Rechtsanspruch auf Schutz und Beratung. Der Rest des Gesetzes tritt hingegen sofort in Kraft. Selbstverständlich hätten auch wir uns eine schnellere Einführung des Rechtsanspruches auf Schutz und Beratung gewünscht. Gleichzeitig brauchen die Kommunen Zeit, die Infrastruktur an Frauenhäusern und Beratungsstellen weiter auszubauen, damit der Rechtsanspruch auch tatsächlich in der Praxis umgesetzt werden kann. Die vergangenen Jahrzehnte wurde zu wenig für den Schutz von Frauen vor Gewalt getan. Das muss jetzt schnellstens nachgeholt werden.
epd: Ab 2027 bis 2036 soll es zusammen 2,6 Milliarden Euro vom Bund für den Gewaltschutz geben. Das sind pro Jahr rund 280 Millionen Euro. Wird das Geld überhaupt reichen?
Schoß: Das Geld vom Bund wird alleine nicht reichen. Dafür fehlen einfach zu viele Frauenhäuser. Aber es wird die Infrastruktur ein wenig verbessern. Dennoch: Indem die Länder alle vier Jahre im Rahmen ihres Ausgangsanalyse- und Entwicklungsplanungsberichts gegenüber dem Bundesfamilienministerium auch ein Finanzierungskonzept vorlegen sollen, wird deutlich, dass sich die Finanzierung der Schutzeinrichtungen und Beratungsstellen auch weiterhin regional sehr unterscheiden wird. Eine tatsächlich verlässliche, finanzielle Absicherung der Hilfsangebote in Zukunft ist damit nicht gegeben. Daran ändert auch die geplante finanzielle Beteiligung des Bundes nichts, denn wie ein Vergleich der Fördersumme aus dem Gesetzentwurf mit den Ergebnissen der vom Familienministerium in Auftrag gegebenen Kostenstudie deutlich macht, wird auch in Zukunft ein Großteil der Kosten für ein ausgebautes Hilfesystem anderweitig finanziert werden müssen.
epd: Die Frage, wie das ganze Konzept finanziert wird, ist also weiter unbeantwortet?
Schoß: Ja, die Finanzierungsfrage ist weiterhin offen und muss nach unserer Ansicht dringend abschließend und transparent geklärt werden. Wir wünschen uns hier für die Zukunft eine solidere Finanzierung von Frauenhäusern. Der Bund muss sich hier stärker beteiligen.
epd: Bis 2032 soll es „ein bedarfsgerechtes Hilfesystem geben“. Was würden Sie sich da im Idealfall vorstellen?
Schoß: Der Idealfall wäre, wenn jede Frau, die von Gewalt betroffen ist, sofort Schutz und Hilfe durch ein Frauenhaus oder eine Beratungsstelle findet. Das hieße, dass es eine ausreichende Anzahl an Frauenhaus-Plätzen und Beratungsstellen gibt, die auch barrierefrei zugänglich sind, sodass auch Frauen mit Behinderungen oder pflegebedürftige Frauen Schutz finden.
epd: Es fehlt auch bundesweit an Beratungsstellen, ebenso fordern viele ExpertInnen mehr Einsatz in der Prävention. Was ist dazu zu sagen?
Schoß: Beratungsstellen sind wichtig, um ein erster Anlaufpunkt für gewaltbetroffene Frauen zu sein. Auch wir stimmen der Aussage zu, dass mehr in die Prävention gesteckt werden muss. Denn nur, wenn Gewalt wirksam verhindert wird, können Frauen gewaltfrei leben. Daher müssen Täter und mögliche Gewaltbereite stärker in den Blick genommen werden.