
Pflegestützpunkte gibt es bundesweit. Doch sind diese kostenlosen Anlaufstellen überall bekannt und werden auch genutzt? Die Krankenkasse AOK sieht hier noch Luft nach oben. Im hessischen Main-Taunus-Kreis sieht man sich dagegen gut aufgestellt.
Hofheim, Berlin. (epd). „In all den Jahren, seit ich hier im Amt bin, habe ich noch nie die Frage gehört: 'Wo finde ich Hilfe bei der Pflege?'“ Johannes Baron, Kreisbeigeordneter im hessischen Main-Taunus-Kreis, spricht überzeugt von bewährten Beratungsstrukturen, die auch „eigentlich überall bekannt sind“. Das gelte besonders für den im August 2010 eröffneten Pflegestützpunkt im Landratsamt, der von der AOK Hessen und dem Kreis gemeinsam getragen wird. Hier, aber eben nicht nur hier, fänden Ratsuchende kompetente Ansprechpartner in allen Fragen zur Pflegebedürftigkeit, betont der FDP-Politiker im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Der Landkreis habe in den zurückliegenden Jahren gezielt vernetzte Strukturen zur Pflegeberatung geschaffen - ein Netzwerk „ohne einheitliche Hierarchie“. So unterhält der Kreis die Fachstelle Allgemeine Seniorenhilfe, die den Altenhilfeplan des Kreises koordiniert, und die auch für den Pflegestützpunkt zuständig ist. Zudem gibt es, auch dank der finanziellen Unterstützung des Kreises von jährlich 250.000 Euro, in allen zwölf Kommunen und Städten Seniorenberatungsstellen für Personen ab dem Alter von 65 Jahren. Dazu kommt als spezielles Angebot die Fachstelle Demenz, die von der Caritas unterhalten wird, wofür im Kreisetat 114.000 Euro bereitstehen.
Besonderheiten des Kreises erleichtern Kontakte
Baron verweist aber auch auf Besonderheiten des Kreises, die die Kontakte zu Beratungsdiensten erleichterten. Er sei der flächenmäßig kleinste im Land Hessen, hat aber mehr als 1.000 Bewohner je Quadratkilometer, also quasi großstädtische Wohndimensionen. Das führt laut dem Beigeordneten zu einer „großen Nähe der Bürgerinnen und Bürger zu nahezu allen Hilfsangeboten“ - besonders aber zu den Seniorenberatungsstellen der Gemeinden. Das sei ein großer Vorteil im Vergleich zu ländlichen Großkreisen in Hessen oder in anderen Bundesländern, in denen die Hilfesuchenden lange Wege in Kauf nehmen müssten.
Derzeit gibt es laut der Krankenkasse AOK bundesweit knapp 500 Pflegestützpunkte. Sie sollen neutral zum Thema Pflege informieren, beraten und vermitteln. „Auf Wunsch erfolgt die Beratung per Hausbesuch oder auch telefonisch“, erläutert die Kasse. Die Büros haben die Funktion eines Wegweisers und bieten kostenlose Beratung und Unterstützung für Hilfesuchende, die selbst pflegebedürftig sind, oder für Personen mit pflegebedürftigen Angehörigen. Hier erhalten sie nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums alle wichtigen Informationen, Antragsformulare und konkrete Hilfestellungen. Die Stützpunkte werden von den Kranken- und Pflegekassen auf Initiative des jeweiligen Bundeslandes eingerichtet.
Expertin spricht von „charmantem Ansatz“
Ulrike Kempchen, Leiterin Recht beim BIVA-Pflegeschutzbund, hält die Pflegestützpunkte für „gute erste Anlaufstellen, um eine umfassende Beratung und einen Überblick über das Thema Pflegebedürftigkeit zu erhalten“. Es sei ein „charmanter Ansatz, dass man dort einfach hingehen kann und kostenlos und neutral an alle nötigen Informationen kommt“. Doch sie betont im Gespräch mit dem epd auch, dass es keine bundesgesetzliche Regelung über die Qualitätsstandards der Beratungen gibt.
Auch aus ihrer Sicht sind diese Angebote oft noch nicht genug bekannt. Der Grund dafür sei, so die Fachfrau, dass die Menschen in jungen Jahren ungern mit dem Thema Pflegebedürftigkeit zu tun haben: „Es ist nicht schön, sich gegen Ende des Lebens mit diesen Problemen zu befassen.“ Deshalb, so ihre Vermutung, „nehmen Betroffene die Informationen und Angebote zur Beratung nicht wahr“.
Studie aus Baden-Württemberg belegt Schwächen
Das IGES Institut in Berlin hat 2024 Beschäftigte der Pflegestützpunkte in Baden-Württemberg zur Bekanntheit der eigenen Beratungsdienste befragt. Demnach stimmten etwa drei Viertel der Befragten zu, dass die relevanten Akteure für die pflegerische Versorgung und Betreuung die Rolle und die Aufgaben der Stützpunkte kennen. „Allerdings erleben die Pflegestützpunkte auch immer wieder, dass ihre Informationsmaterialen und Hinweise teilweise gar nicht wahrgenommen und gelesen werden“, sagt Grit Braeseke, Leiterin des Bereichs Pflege am IGES Institut (Berlin), dem epd.
Vergleichsweise immer noch schlecht informiert seien Hausärzte. „Doch gerade für sie ist es wichtig, Patienten auf diese Beratungsangebote hinzuweisen, weil dies die Versorgung ihrer Patienten unterstützen und die Ärzte entlasten kann“, so Braeseke.
Ein Drittel der befragten Mitarbeitenden geht davon aus, dass die Bekanntheit der Hilfen in der Bevölkerung nur gering ist. Das deckt sich mit bundesweiten Erhebungen. „Nicht zu unterschätzen ist dabei jedoch auch ein psychologisches Phänomen: Hilfe wird meist erst gesucht, wenn die pflegerische Not plötzlich groß ist“, sagt Braeseke.
AOK Hessen betreibt 26 Stützpunkte
Die AOK Hessen betont, dass der demografische Wandel dazu führe, dass die Zahl älterer und damit häufig auch pflegebedürftiger Menschen stetig zunehme. Schnell fachlich versierte Hilfe zu bekommen, sei elementar: „Denn Pflege ist fast immer ein enormer Stressfaktor für alle Beteiligten, egal ob ambulant oder stationär.“ Landesweit gibt es 26 Stützpunkte, in acht, darunter Hofheim, beraten die Mitarbeitenden der AOK.
Zwar ist das kostenlose Beratungsangebot der Kasse zufolge nicht jedem bekannt. Doch zugleich verweist sie auf beachtliche Daten aus ihren überwiegend nordhessischen Stützpunkten. Pro Jahr gibt es rund 10.000 telefonische Beratungsgespräche. Hinzu kommen mehr als 1.600 Hausbesuche und mehrere Hundert Beratungsgespräche in den Pflegestützpunkten selbst. „Schulungen von Angehörigen, Infoveranstaltungen und Netzwerkarbeit runden das Beratungs- und Unterstützungsangebot ab.“
Expertin: Nicht nachlassen bei der Aufklärung
IGES-Expertin Braeseke mahnt weitere Infokampagnen an. Verstärkt angesprochen werden sollten die potenziellen „Zuweiser“, wie niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und die verschiedenen Beratungsstellen anderer sozialer Träger. Die lokale Öffentlichkeitsarbeit müsse verstärkt werden, und eine landesweite TV-Kampagne könne die Bekanntheit erhöhen. Und: „Eindeutige Hinweisschilder für die Pflegestützpunkte im öffentlichen Raum sind sinnvoll, damit 'Laufpublikum' auf das Beratungsangebot aufmerksam gemacht wird.“
In Hofheim berichtet AOK-Mitarbeiter Markus Krugmeister von seiner Arbeit im Pflegestützpunkt, die er gemeinsam mit seiner Kollegin Sarah Zentner erledigt. „Einer von uns ist immer im Büro, so dass wir während der Öffnungszeiten immer erreichbar sind.“ Es gebe sowohl Ad-hoc-Besuche, meist von Angehörigen von Pflegebedürftigen, als auch Treffen nach vorheriger Terminvergabe. Der Löwenanteil der Kontakte entfalle auf das Telefon.
Aber, auch das sei wichtig, betont der Versicherungskaufmann: „Wir gehen auch auf Hausbesuch. Wenn es die Situation erfordert, ist das kein Problem.“ Er selbst sei jedes Jahr bis zu 200 Mal bei den Hilfesuchenden daheim präsent.
Personalmangel erschwert Vermittlung von Hilfen
Krugmeister, dessen Büro laut Altenhilfeplan des Kreises 2020 rund 1.100 Beratungen hatte, sieht weniger ein Problem bei der Erreichbarkeit und der Kontaktaufnahme, sondern darin, dass es heute schwerer fällt, Pflegebedürftigen die nötigen Hilfen passgenau und schnell zu vermitteln: „Das ist eine Folge der Personalnot in der Pflege und in den Kliniken“, so der Berater. Die Einrichtungen können längst nicht mehr alle Plätze belegen, weil das Personal fehlt. Und ambulante Dienste nehmen aus dem gleichen Grund keine Senioren und Seniorinnen mehr auf. „Das gleiche Bild haben wir in der Tagespflege oder Kurzzeitpflege.“
Zum Hauptproblem entwickelten sich laut Krugmeister jedoch die massiv gestiegenen Kosten in der Heimpflege. Die Teuerung in den vergangenen Jahren betrage für die Pflegebedürftigen bis zu 50 Prozent: „Viele kommen zu uns und sagen, sie könnten die Eigenanteile nicht mehr bezahlen.“ Das aber, so der Fachmann, sei ein Problem, das die Bundesregierung lösen müsse.