Heimbewohner: Wahl zu mühsam und oder nutzlos?
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Altenpflegeheim

Schätzungen zufolge wählen höchstens 20 Prozent der in Heimen lebenden Menschen. Dabei wäre es wichtig, dass Pflegebedürftige mit ihrem Stimmrecht ausdrücken, welche Politik sie haben wollen, meint Klaus Uhl, der in einem Heim in Würzburg lebt.

Würzburg (epd). Manchmal denkt Klaus Uhl mit Wehmut an jene Zeit zurück, als er noch gesund war und arbeiten konnte. Der gebürtige Unterfranke kam nach einer Herztransplantation mit 62 Jahren ins Marie-Juchacz-Haus der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Würzburg, wo er sich im Heimbeirat engagiert. Ein Politikwechsel und Reformen in der Pflege wären ihm ein Herzensanliegen, sagte er im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd). Doch viele Politiker, so der Heimbeirat, wollten nur ihre Macht zementieren. Darum weiß auch er noch nicht, ob und wen er am 23. Februar wählt.

„Ich habe eigentlich eine gute Rente, doch die geht komplett für den Pflegeplatz drauf“, berichtet der Heimbeiratsvorsitzende. Der Eigenanteil übersteige sogar die Rente: Nach 37 Jahren Maloche als Maler und Gerüstbauer lebt der Senior heute von Sozialhilfe. Wie viele seiner Mitbewohner. Von denen laut Uhl viele wünschten, dass die Politik das ändert. Wählen gingen sie jedoch meistens nicht. Viele von Uhls eingeschränkten Mitbewohnern hätten keinerlei Interesse mehr an der Stimmabgabe.

Wie oft wurde man schon nach der Wahl enttäuscht?

Dabei wäre es im AWO-Heim einfach, die Stimme abzugeben. Es gibt Hilfe bei den Anträgen auf Briefwahl: „Die ausgefüllten Unterlagen gibt man einfach in der Verwaltung ab“, sagt Uhl. Desinteresse, aber auch Desillusionierung verhinderten jedoch nach seiner Erfahrung das Wählen. Wie oft hat man in seinem Leben schon gewählt, wie oft wurde man enttäuscht?, fragt Uhl.

Dass Heime sehr wohl die Wahlen unterstützen können, zeigt eine Initiative der drei der größten privaten Pflegeheimbetreiber, compassio, Alloheim und Victor's Group. Über 50.000 Wahlberechtigte in 500 Pflegeeinrichtungen dieser drei Betreiber erhalten aktuelle Hilfe bei der Briefwahl. Zum Teil werden barrierefreie Wahllokale eingerichtet oder Shuttleservices zum örtlichen Wahllokal organisiert. Auch politische Quiz-Veranstaltungen sowie Wahlcafés sind Teil der Initiative. „Wer nicht wählt, wählt extrem. Wir sehen es als unsere staatsbürgerliche Verantwortung und Fürsorgepflicht, die Teilhabe unserer Bewohnerinnen und Bewohner am demokratischen Prozess zu fördern“, sagt Christopher Nolde, CEO der compassio-Gruppe.

KDA ruft zur Teilnahme an der Wahl auf

Politische Partizipation im Alter ist auch ein Thema, das das Kuratorium Deutsche Altershilfe (KDA) umtreibt. Vorständin Alexia Zurkuhlen appelliert an alle Heimbewohner, zu wählen. Einfach sei die Wahlentscheidung nicht, sagt sie. Welcher Partei sei zuzutrauen, dass sie nach der Wahl die Versorgungsangebote verbessert und eine Pflege realisiert, „die Heimbewohner nicht in Armut stürzt“? Was lobenswerte Wahlhilfen anbelangt, ist dem KDA eine Initiative in Wilhelmshaven bekannt. Hier werden ab Mitte Februar mobile Wahlteams in Seniorenheime kommen, um bei der Briefwahl zu helfen.

Dass der Termin für die Bundestagswahl vorgezogen wurde, ist für Pflegeheime ein Problem, sagt David Kröll von der Bonner Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (BIVA). Heime hätten diesmal zu wenig Vorbereitungszeit: „Wir wissen von einer Einrichtung, die sonst regelmäßig ein Wahllokal einrichtet, dass sie dies in diesem Jahr verpasst hat.“ Insgesamt wird nach BIVA-Einschätzung nicht genug getan, um Pflegeheimbewohnern das Wählen zu erleichtern. Die Verantwortung werde oft auf die Angehörigen oder die Bewohner selbst abgeschoben.

Caritas: Hilfen bei der Wahl sind Standard

Hilfe beim Beantragen von Briefwahlunterlagen, neutrale Assistenz beim Ausfüllen und die Weiterleitung der Unterlagen gehören in den unterfränkischen Caritas-Pflegeeinrichtungen zum Standard, versichert Sonja Schwab vom Caritasverband für die Diözese Würzburg. Für politische Information werde durch Leseecken gesorgt. Etwa ein Fünftel der Heimbewohner, schätzt Georg Sperrle, Geschäftsführer der Würzburger Caritas-Einrichtungen gGmbH, verfolgt noch eigenständig die Tagespolitik. In Betreuungsrunden werde das Tagesgeschehen gemeinsam diskutiert. Ehrenamtliche läsen bei Bedarf auch aus der Zeitung vor.

Karin Sporrer von der AWO in München bestätigt diese Aktivitäten. Auch in ihren Einrichtungen werde die Tagespolitik gemeinsam verfolgt und besprochen. Die Wahlbeteiligung schätzt Sporrer dennoch auf lediglich 15 bis 20 Prozent. Als Gründe nennt sie bei sehr betagten Bewohnern kognitive Einschränkungen. Bei den Jüngeren stünden oft körperliche Handicaps im Wege.

Gesetz: Anspruch auf Assistenz beim Wählen

Pflegeheime müssen ihre Bewohner nicht davon überzeugen, dass es wichtig ist, zur Wahl zu gehen, meint Andreas Wedeking, Geschäftsführer des in Berlin ansässigen Verbands katholischer Altenhilfe in Deutschland (VKAD). Der Heimvertrag sehe das nicht vor. Dem Sozialpädagogen ist weder von Shuttleservices zum Wahllokal noch von Pflegeheimen, in denen am 23. Februar ein Wahllokal eingerichtet wird, etwas bekannt.

Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft verweist auf die Rechtslage: Seit Juli 2019 haben Heimbewohner laut Bundeswahlgesetz Anspruch auf Assistenz bei der Wahl. Tatsächlich geht jedoch nach wie vor kaum ein dementer Heimbewohner zur Wahlurne. "In unseren Wohngemeinschaften für Demenzerkrankte werden Menschen betreut, die aufgrund ihrer kognitiven Einschränkungen nicht in der Lage sind, wählen zu gehen”, heißt es dazu von der Diakonie-Pflege Verbund Berlin gGmbH.

Pat Christ