Gutachten als "Vision einer neuen Pflegeversicherung 2.0"
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Altenpflegeheim

Die Initiative Pro-Pflegereform, die schon ihr drittes Reformkonzept für die Pflegeversicherung vorgelegt hat, hofft mit ihren Ansätzen auf Anschlussfähigkeit in der Politik. Denn auch im Sondierungspapier steht eine Pflegereform. Die Zeit scheint günstig für neue Impulse.

Berlin, Stuttgart (epd). Die Initiative Pro-Pflegereform fordert von der künftigen Bundesregierung in ihrem 3. Reformpapier den umfassenden Umbau der Pflegeversicherung. Nötig sei eine neue Finanzstruktur, um eine „Vollversicherung mit begrenzten Eigenanteilen“ zu schaffen, hieß es bei der Vorstellung eines Gutachtens am 14. März in Berlin. Das Gesamtkonzept komme ohne die Aufteilung in Ambulant und Stationär aus. „Stattdessen ermöglicht es individuelle Pflegearrangements nach dem Prinzip Wohnen und Pflege und wirft damit Bürokratielasten über Bord.“

Die Diakonie Deutschland begrüßte den Reformansatz. Vorständin Elke Ronneberger forderte: „Jetzt müssen Taten folgen. Ziel muss eine nachhaltige Finanzierung der Pflegeversicherung sein.“ Neben der Sicherung der Finanzströme müssen laut Ronneberger vor allem pflegende Angehörige stärker unterstützt und entlastet werden. „Die Leistungen der Pflegeversicherung müssen einfacher und flexibler ausgestaltet sein und auf Beratung und Schulung für pflegende Angehörige erweitert werden.“ Diejenigen, die ihre Arbeitszeit für die Pflege reduzierten, sollten für diesen Einsatz entlohnt und im Alter ohne Verlust von Rentenpunkten abgesichert werden.

Gutachten bündelt Erkenntnisse anderer Papiere

Mit dem dritten Gutachten zur „Alternativen Ausgestaltung der Pflegeversicherung“ gibt es dem Bündnis zufolge jetzt eine überzeugende Vorlage für eine große Reform der gesetzlichen Pflegeversicherung. Die Studie füge nach acht Jahren anhaltender Vorschläge aus 26 Positionspapieren zusammen.

Eine Neuausrichtung der Pflegekasse sei unumgänglich, hieß es zur Begründung. Mit Blick auf die Versäumnisse der Vergangenheit, die Pflegeversicherung tragfähig zu sanieren, sagte Bernhard Schneider, Sprecher der Initiative und Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung in Stuttgart: „Die zukünftigen Koalitionäre Union und SPD versprechen eine große Pflegereform. Wir liefern die Blaupause dafür.“

Reformplan für die Jahre 2026 bis 2030

Auf knapp 100 Seiten wird ein Gesamtkonzept für Reformschritte vorgelegt, die der Gesundheitsökonomen Heinz Rothgang von der Universität Bremen maßgeblich erstellt hat. Das Papier lege einen Zeitplan mit drei aufeinander aufbauenden Reformschritten von 2026 bis 2030 vor.

Rothgang selbst erinnerte daran, dass die Versprechen, die mit der Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung vor 30 Jahren gegeben wurden, heute nicht mehr haltbar seien. Pflege sollte ursprünglich pflegebedürftige Menschen nicht zu Almosenempfängern machen. Doch genau das geschehe seit Jahren, denn die Eigenanteile von Menschen in Pflegeheimen stiegen stetig an und lägen im Durchschnitt bei 2.500 Euro im Monat.

„Deshalb müssen Reformen, die schon 2026 greifen können, den Eigenanteil begrenzen“, forderte der Experte. Er nannte einen Betrag von maximal 700 Euro, den Betroffene künftig selbst zahlen sollen. Der Gesamtbetrag an Eigenleistungen soll für den Zeitraum von drei Jahren bei maximal 25.000 Euro liegen. Zudem werden zwei weitere schnelle Reformschritte vorgeschlagen, um die Kostenbelastung zu senken: Die Ausbildungsumlage soll künftig von der Pflegekasse getragen werden. Und die Behandlungspflege in Heimen soll dann zulasten der Krankenversicherung gehen.

Kostendeckelung für Betroffene auch in der heimischen Pflege

Ab 2028 werden dem Gutachten zufolge dann auch gravierende Änderungen in der häuslichen Pflege greifen. „Beim Bezug beruflich erbrachter Pflegeleistungen zahlen die pflegebedürftigen Personen ab Inkrafttreten der zweiten Reformstufe einen monatlichen Sockelbetrag in Höhe von 25 Prozent der pflegebedingten Kosten, höchstens allerdings 700 Euro. Zusätzlich wird ein Gesamteigenanteil in Höhe von max. 25.200 Euro festgelegt“, eine Regelung analog zu der für die Heime.

Diakonievorständin Ronneberger warb ebenfalls dafür, die Pflegeversicherung von einem Teilleistungssystem zu einer Pflegevollversicherung mit begrenzter Eigenbeteiligung weiterzuentwickeln. Das Gutachten zeige, dass Pflege auch in Zukunft bezahlbar bleiben und der Beitragssatz nachhaltig stabilisiert werden könne.

„Versorgungsgrenzen aufheben“

Andreas Wedeking, Geschäftsführer des Verbandes katholischer Altenhilfe in Deutschland, verlangte, die Grenzlinie zwischen ambulanter und stationärer Versorgung aufzuheben: „Die Pflegeleistung muss an den Bedarfen der Menschen ausgerichtet sein.“ Das betonte auch Rothgang und sagte, der neue Ansatz sei „ein Befreiungsschlag im Leistungsrecht“.

Eva Lettenmeier, Mitglied der Geschäftsleitung im Geschäftsbereich Pflegewirtschaft bei der Beratungsfirma contec , sagte, man müsse alles tun, damit „die Menschen im Alter so leben können, wie sie es wollen“. Dazu müsse man wegkommen von der Dominanz der Pflegeheime als „Versorgungsinseln“, die teuer und oft überfüllt seien. Die oft strengen Regeln in den Bundesländern müssten geändert werden. Ziel sei es, mehr und offene Versorgungsformen zu etablieren: „Das ist eine positive Vision, die nicht unmöglich ist.“

Beauftragt wurde das Gutachten von der Initiative Pro-Pflegereform, die sich seit 2016 bundesweit für eine Pflegereform einsetzt. Die Initiative wird von mehr als 120 Pflegeunternehmen mit 1.000 Pflegeheimen und 300 Pflegediensten sowie über 60 Verbänden und Organisationen unterstützt.

Dirk Baas